© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/06 11. August 2006

Peinlich für das protestantische Mitläufertum
Vor dreißig Jahren setzte der Pfarrer Oskar Brüsewitz mit seinem Selbstmord in Zeitz ein Fanal gegen das SED-Unrechtsregime
Christian Vollradt

Am Vormittag des 18. August 1976 übergoß sich der evangelische Pfarrer Oskar Brüsewitz in der Fußgängerzone der Stadt Zeitz (damals DDR-Bezirk Halle, heute Sachsen-Anhalt) mit Benzin und zündete sich selbst an. Laut Zeugenaussagen sei der 47jährige im brennenden Talar wie eine lebende Fackel schreiend umhergelaufen, bevor Passanten die Flammen schließlich ersticken konnten. Die sofort herbeigeeilten Volkspolizisten entfernten zunächst die vom Pfarrer an seinem Auto aufgestellten Transparente; während der schwerverletzte Theologe schließlich ins Krankenhaus nach Halle gebracht wurde, nahmen die Sicherheitsorgane der DDR - Volkspolizei und "Staatssicherheit" - bereits die Ermittlungen gegen ihn auf wegen des Verdachts der "staatsfeindlichen Hetze". Denn eines der an Brüsewitz "Trabant" befestigten Transparente trug die Aufschrift: "Funkspruch an alle ... Funkspruch an alle ... Die Kirche in der D.D.R. klagt den Kommunismus an! Wegen Unterdrückung in Schulen an Kindern und Jugendlichen".

Mit seiner spektakulären Tat hatte der Pfarrer aus dem benachbarten Rippicha öffentlichkeitswirksam seinen schon lange währenden Protest gegen die totalitäre Herrschaftsausübung der SED auf die Spitze getrieben und ein Zeichen gesetzt, das später als das "Fanal von Zeitz" bezeichnet werden sollte.

Der 1929 im Memelland geborene Brüsewitz hatte nach Kriegs- und Nachkriegswirren zunächst eine Lehre als Schuhmacher absolviert und später seine Meisterprüfung abgelegt. In Thüringen betrieb er eine eigene Werkstatt, die schließlich zwangsweise in eine Produktionsgenossenschaft (PGH) überführt wurde. Mit der kollektivierten Arbeitsweise kam Brüsewitz nicht zurecht, und so schied er 1964 aus der PGH aus. Bereits als junger Mann war er religiös sozialisiert, vor allem durch den CVJM, später durch die charismatisch ausgerichtete, freikirchliche Elim-Gemeinde. 1958 war Brüsewitz jedoch in die Landeskirche gewechselt.

Gegen die Entchristlichung des DDR-Alltags

Schon als Laie beteiligte sich Brüsewitz an der gemeindlichen Missionsarbeit und sprach mit seiner direkten Art vor allem Kinder und Jugendliche an. Von 1964 bis 1969 erfolgte seine Ausbildung am Erfurter Predigerseminar. Das Interesse des bereits 35 Jahre alten Studenten richtete sich nicht auf die moderne Theologie, er verstand die Bibel eher praxisorientiert. In seiner Abschlußarbeit über einen evangelischen Pfarrer, der mit den Nationalsozialisten aneinandergeraten war, zeigte Brüsewitz Parallelen zum Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR auf.

Auf seiner ersten Pfarrstelle in Rippicha (Kirchenprovinz Sachsen) imponierte Brüsewitz durch seine buchstäblich zupackende Art bei der Bewältigung von Renovierungsarbeiten an Kirche und Pfarrhaus. "Seine Art und auch seine Art zu predigen sind unkonventio-nell", hieß es im Abschlußzeugnis am Ende seiner Probezeit. Teilweise hat er seine Gemeindemitglieder damit überfordert, aber bald strömten immer mehr Besucher in seine Gottesdienste. Für Kinder errichtete er einen "Kirchenspielplatz", mit Jugendlichen spielte er Fußball und versuchte durch eine Vielzahl von Aktivitäten, das Monopol der Staatsjugend FDJ zu durchbrechen. Erste Konflikte mit der Staatsmacht ließen nicht lange auf sich warten. Brüsewitz liebte die Provokation: Am Kirchturm errichtete er ein großes Kreuz aus Neonröhren, das weithin sichtbar leuchtete und als bewußter Kontrast zum roten Stern aufgefaßt wurde. Die SED-Propagandalosung "Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein" beantwortete Brüsewitz mit der Formel "Ohne Regen, ohne Gott geht die ganze Welt bankrott", und dem offiziellen Motto "25 Jahre DDR" setzte er auf einem Plakat "2000 Jahre Kirche Jesu Christi" entgegen.

Für Brüsewitz waren der christliche Glaube und die atheistische Staatsdok-trin der DDR per se unvereinbar, sein Evangelisieren verstand er nicht nur religiös, sondern auch politisch gegen das SED-System. Damit verstärkten sich nicht nur seine Probleme mit den lokalen Funktionären dieses Systems, sondern auch mit den Offiziellen der Kirchenleitung. Seit Aufgabe der gesamdeutschen Bezüge in den mitteldeutschen evangelischen Landeskirchen, bemühte sich die Leitung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR (BEK) um ein weitgehend opportunistisches Verhältnis zum Staat. Damit konnte Brüsewitz nichts anfangen; für ihn hieß Christsein "Kampf" gegen die atheistische Umwelt, gegen das Reich der Finsternis. Auf Druck staatlicher Stellen, unter anderem des MfS, versuchte die Führung der Landeskirche in Magdeburg die Situation in Rippicha zu entschärfen, indem sie Brüsewitz einen Wechsel der Pfarrstelle nahelegte. Ein Besuch des stellvertretenden Bischofs, Probst Friedrich-Wilhelm Bäumer, am 23. Juli 1976 sollte dieser "Entschärfung" dienen und den aufsässigen Pastor umstimmen. In all diesen Maßnahmen sah sich Brüsewitz von seiner Kirche im Stich gelassen. Vertrauten gegenüber sagte er daraufhin, bei seiner "Offensive" in eine neue "Phase" einzutreten, ohne diese Andeutungen konkreter werden zu lassen.

Seine Selbstverbrennung plante er minutiös, er verstand sich als Blutzeuge, wie jene Priester, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden waren; in ihrer Symbolik ähnelte die Tat dem Vorbild vietnamesischer Mönche. Die Selbsttötung indes begriff er durchaus als "Schande", die er seinen "Brüdern und Schwestern" zumute, so heißt es im Abschiedsbrief. Dort ist auch die Rede vom "scheinbare(n) tiefe(n) Friede(n), der auch in die Christenheit eingedrungen ist", obwohl "zwischen Licht und Finsternis ein mächtige(r) Krieg" tobe - ein deutlicher Hinweis auf seine Unzufriedenheit mit der kompromißbereiten Haltung der Amtskirche.

Vier Tage nach seiner Tat starb Brüsewitz in Halle an den Folgen seiner schweren Verbrennungen. Die für den 26. August 1976 angesetzte Beerdigung wird für die SED und die staatlichen Organe der DDR noch einmal zum Politikum. Nach ihrem Willen soll vor allem verhindert werden, daß Brüsewitz' Tat den Westdeutschen Anlaß zur "Hetze gegen die DDR" bietet. Um dies zu verhindern wurde auch die Spitze des BEK eingespannt. Führend auf deren Seite war in den Verhandlungen mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der Generalsekretär des Kirchenbundes und spätere brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe. Der sagte zu, die Kirche wolle "Solidarität mit dem Staat" üben, und so ging die Kirchenleitung in Magdeburg auf den Versuch des SED-Staates ein, den Fall zu entpolitisieren: "Jeden Versuch, das Geschehen in Zeitz zur Propaganda gegen die Deutsche Demokratische Republik zu benutzen, weisen wir zurück", hieß es in einer kirchlichen Stellungnahme. Von der Haltung, Brüsewitz' Tat sei vor allem persönlichen Motiven (drohende Versetzung) entsprungen, mußte die Kirchenführung schließlich nach Protesten aus der Pfarrerschaft abrücken. In einem Wort an die Gemeinden vom September 1976 ist dann auch die Rede von "Spannungen, die durch unsere Gesellschaft gehen" und die "Bruder Brüsewitz" aufgezeigt habe.

Keine Unterstützung vom Rat der EKD in Hannover

Auch westdeutsche Stellen stießen zunächst ins selbe Horn der Beschwichtigung. So warnte der Ständige Vertreter der Bundesrepublik, Günter Gaus, mit Brüsewitz befreundete Pfarrer davor, den Fall publik zu machen, und der Rat der EKD in Hannover warnte die westdeutschen Parteien davor, den Fall in den Wahlkampf zu ziehen. Für die wachsende Zahl linker protestantischer Pfarrer und Kirchenfunktionäre war die antikommunistische Tat ein Ärgernis in einer Zeit, in der die Betonung der "Gemeinsamkeiten" von Kommunisten und Christen immer populärer wurde.

Nach der Beerdigung Brüsewitz' unter Anteilnahme von 75 Pfarrern wurde Erich Honecker vom zuständigen ZK-Mitarbeiter zufrieden mitgeteilt, daß die Bestattung "ohne Provokation" abgelaufen sei. Allerdings stellte nach der Revolution von 1989 die Enquete-Kommission des Bundestages fest, daß Brüsewitz' Fanal langfristig nicht ohne Folgen für das Verhältnis von Kirche und Staat in der DDR geblieben ist: Sowohl in den Gemeinden als auch bei der Kirchenleitung sei die "Schärfe des Konflikts zwischen Christentum und Marxismus, Freiheit und SED-Diktatur wieder deutlicher wahrnehmbar" geworden. Eine Zeitzeugin nannte 1989 Brüsewitz den "Anfang von dem, was jetzt geschehen ist".

Foto: Beisetzung von Oskar Brüsewitz am 26. August 1976: Manfred Stolpe rief dazu auf, lieber "Solidarität mit dem Staat" zu üben

Foto: Oskar Brüsewitz im Februar 1976: Ärgernis für linke Pastoren


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