© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Das Lockvogel-Prinzip
Niedersachsen: Delmenhorst versucht den Verkauf eines leerstehenden Hotels an den NPD-nahen Anwalt Jürgen Rieger zu verhindern
Peter Freitag

Wenn der Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger sein Kaufinteresse an leerstehenden Immobilien anmeldet, läßt der Aufschrei in den betreffenden Kommunen nicht lange auf sich warten. Aktuell kochen in der niedersächsischen Stadt Delmenhorst südlich von Bremen die Gemüter hoch, da der Jurist seine Fühler nach dem stillgelegten Hotel "Am Stadtpark" ausgestreckt hat. Die Summe von 3,4 Millionen Euro wird genannt, nach Schätzungen ungefähr das Doppelte des Marktwertes. Seitdem geistert durch Medien das Gerede von einer "braunen Kaderschmiede", die der reiche "Neonazi" Rieger etablieren wolle.

Der 1946 geborene Rieger macht in der Tat keinen Hehl aus seiner Ablehnung des politischen Systems, und seine Agitation läßt die durch den Verfassungsschutz gewählte Bezeichnung Riegers als "rechtsextremistischer Aktivist" durchaus plausibel erscheinen; als Anwalt vertrat er zahlreiche Rechtsextreme in Strafprozessen. Doch auch als Angeklagter sah sich der Jurist bereits vor Gericht, etwa wegen Volksverhetzung oder Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Rieger fungiert seit 1989 als Vorsitzender der Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. Seit einigen Jahren verwaltet Rieger das Vermögen der - pro forma - in London ansässigen Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Ltd. Der im Jahre 2002 in Bremen verstorbene Namensgeber war bekennender Nationalsozialist und hatte sein Vermögen einer an rassischen Kriterien orientierten "Fruchtbarkeitsforschung" verschrieben. Mit dem finanziellen Polster ersteigerte Rieger vor zwei Jahren eine Bundeswehr-Liegenschaft im Landkreis Verden, die im Sinne des Stiftungszwecks genutzt werden sollte. Auflagen der Behörden zur Nutzung des Geländes haben dies bisher verhindert.

Mit Unterschriftensammlungen ziehen in Delmenhorst nun Parteien und eine Bürgerinitiative gegen Rieger zu Felde. Oberbürgermeister Carsten Schwettmann (CDU) kündigte an, den Verkauf mit allen "rechtsstaatlich zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern". Dazu wurde die Änderung der Sanierungssatzung für die Innenstadt beschlossen, wodurch sich die Stadt ein Vorkaufsrecht für das Hotel gesichert hat. Außerdem forderte der Rathauschef die Bürger auf, sich an der Aktion "Für Delmenhorst" zu beteiligen. Unter diesem Motto wurde ein Spendenkonto eingerichtet, mit dem die von Rieger genannte Kaufsumme erzielt werden soll; der Noch-Eigentümer des Hotels, Günter Mergel, hatte verlautbart, er werde für denselben Betrag auch an jeden anderen Interessenten veräußern.

Bisher ist allerdings erst gut eine halbe Million Euro auf das Treuhandkonto eingezahlt worden. Dem Aufruf des OB folgten immerhin 200 Verwaltungsmit-arbeiter, die pro Kopf umgerechnet 7,75 Euro aufwandten. Pläne, einen Teil der Stadtverwaltung im ehemaligen Hotel unterzubringen, waren noch vor kurzem an den nicht übereinstimmenden Preisvorstellungen gescheitert, wie ein Sprecher der Stadt mitteilte.

Unterdessen tauchen Mutmaßungen auf, die Kaufabsicht der Wilhelm-Tietjen-Stiftung könne fingiert sein. So soll es in der Vergangenheit mehrmals vorgekommen sein, daß Eigentümer unverkäuflicher Immobilien einen rechtsextremen Kaufinteressenten präsentierten, woraufhin dann eiligst mit öffentlichen Mitteln und politisch "gutem Gewissen" ein solches "Geschäft" hintertrieben wurde. Der vermeintliche Interessent erhielt dann vom Verkäufer einen Teil des so erzielten Erlöses. So könnte mit der Sorge um den "guten demokratischen Ruf" einer Kommune Geld verdient werden, das nicht nur Inhabern von heruntergekommenen Immobilien, sondern auch den einschlägigen Parteien und Gruppen zugute käme. In "nationalen" Internetforen wird eine derartige Vorgehensweise als gängige Praxis und offenes Geheimnis gehandelt. Träfe dieses "Lockvogel-Prinzip" im aktuellen Fall zu, könnten indirekt die Spenden aus Delmenhorst der Wilhelm-Tietjen-Stiftung zufließen.

Hotelbesitzer kündigt Schenkung an

Die ganze Aufregung scheint indes nur eine Minderheit "betroffen" zu machen. So beklagt ein Kommentator des "Delme-Reports", über 95 Prozent der Delmenhorster hätten sich noch nicht an den Protestaktionen beteiligt. Auch zur Gründung des "offenen"
Bündnisses "Keine Nazischule in
Delmenhorst" kamen nur wenige Bürger. Wer "normale" Delmenhorster, die weder im Deutschen Gewerkschaftsbund, wahlkämpfenden Parteien oder der evangelischen Jugend organisiert sind, nach ihrer Meinung zum Hotel befragt, erhält meist die Antwort, die ganze Aufregung sei "ziemlich übertrieben".

Was die 100-Betten-Burg für Mergel zum wirtschaftlichen Desaster gemacht hat, war ihre ungünstige Lage - und die wenig entgegenkommende Haltung der Stadtverwaltung. Das Gebäude liegt direkt neben jenem Parkplatz, auf dem der Kramermarkt - ein mehrtägigges Kirmes-Spektakel - stattfindet. Mehrfach hatte sich Mergel über die erhebliche Ruhestörung beklagt, die seine Gäste vergraule. Außerdem litt die Attraktivität des Hotels unter der Nachbarschaft der Delmehalle, in der Hochzeitsfeiern der in Delmenhorst in größerer Zahl ansässigen türkischstämmigen Familien stattfinden. Sowohl die Teilnehmerzahl als auch der Ablauf der Festlichkeiten erwies sich als nichtkompatibel mit einer wirtschaftlichen Auslastung des Hotels.

Die Verärgerung des Hoteliers über ausbleibende Reaktionen der Stadtverwaltung scheint so groß zu sein, daß alle öffentlichen Appelle an seine "demokratische Verantwortung" bisher verpufften. Der finanziell angeschlagene Unternehmer kommentierte seine Verkaufsverhandlungen mit Rieger kurz und bündig: "Ich bin arm, ich verkaufe an jeden." Am Dienstag kündigte Mergel sogar an, er wolle Rieger das Hotel "schenken" - das Vorkaufsrecht der Stadt würde ins Leere laufen.

Rieger hat angekündigt, einen normalen Hotelbetrieb etablieren zu wollen, mit dem einzigen Unterschied, daß auch rechte Parteien und Gruppierungen ihre Veranstaltungen abhalten dürften, was ihnen sonst auf dem freien Markt häufig verwehrt bleibe. Mit welchem juristischen Instrumentarium Oberbürgermeister Carsten Schwettmann (CDU) Rieger diese Nutzung seines Eigentums verwehren will, erscheint unklar. Wo sich Jahrmarkt und anatolisches Brauchtum auflagenfrei entfalten können, dürfte die Ausübung selbst des bizarrsten "germanischen" Mummenschanzes schwer einzuschränken sein.

Genauso fraglich erscheint jedoch, wie Rieger einen jenseits aller möglichen Veranstaltungen notwendigen regulären Hotelbetrieb samt ausreichend Kundschaft etablieren will, wenn letztere schon ohne einen solchen schlechten politischen Leumund ausblieb.


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