© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

Entfremdete Brüder
Bilanz: Eine Leipziger Ausstellung beleuchtet das deutsch-österreichische Verhältnis nach 1945
Ekkehard Schultz

Anfang 2000. Gerade erst ist die schwarz-blaue Regierung in Österreich vereidigt worden. Die Opposition ruft monatelang zu Protesten auf, die die Alpenrepublik über lange Zeit in den Zustand einer gesellschaftlichen Quarantäne versetzen.

Auf Betreiben der mit den österreichischen Sozialdemokraten befreundeten Bruderparteien in den Regierung von Belgien, Frankreich und Deutschland entschließt sich die Europäische Union schließlich zu einer Kraftprobe: Obwohl Österreich seit weit mehr als 50 Jahren nie einen ernsthaften Anlaß dafür bot, Zweifel an seiner demokratischen Verfassung zu hegen, werden Sanktionen gegen die Alpenrepublik beschlossen.

Ausgerechnet Österreichs größter Nachbar, das historisch, kulturell und wirtschaftlich am stärksten verzahnte Deutschland, trug an diesen Peinlichkeiten einen großen Anteil. Bundeskanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer taten sich bei der Ausgrenzung des Landes besonders hervor. Der deutsche Kanzlerberater Michael Steiner arbeitete gar an der Erstellung des Sanktionsbeschlusses persönlich mit. Schröder ließ die Journalisten wissen, daß er keineswegs die Absicht habe, Österreich zu besuchen oder offizielle Besuch aus Wien zu empfangen. Und Fischer ließ auch nach der Aufhebung der Sanktionen verkünden, er würde "den Teufel" tun, sich für sein Verhalten gegenüber dem Nachbarn zu entschuldigen.

Nicht nur diese Faktoren tragen dazu bei, daß das politische Verhältnis zwischen Berlin und Wien nach wie vor von einer "Normalisierung" weit entfernt ist. Zu diesem Ergebnis kommt die Ausstellung "Verfeindete Nachbarn: Deutschland - Österreich", die derzeit im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig besichtigt werden kann.

Wie bereits nach dem Ersten Weltkrieg wurde nach 1945 die Trennung Österreichs von Deutschland von außen bestimmt. Schon nach 1918 war die Politik der Siegermächte von einer "Zuckerbrot und Peitsche"-Strategie bestimmt, indem die Auszahlung lebensnotwendiger Wirtschaftshilfen von der Bewahrung eines eigenständigen Staatswesens abhängig gemacht wurde. Auch nach 1945 wurde auf diese Taktik gesetzt, nun aber mit dem Verdikt, die Eigenständigkeit gegen eine im Gegenfall drohende Regreßnahme für die Verbrechen der Dritten Reiches einzutauschen.

Abgrenzung treibt kuriose Blüten

Wie die Leipziger Ausstellung zeigt, trieb die Abgrenzung von Deutschland insbesondere in den ersten Nachkriegsjahrzehnten die kuriosesten Blüten. So wurde der Deutschunterricht als "Unterrichtssprache" bezeichnet und jeglicher Bezug auf die historischen Gemeinsamkeiten mit Deutschland aus den Lehrplänen getilgt.

In politischer Hinsicht regelte zwar der 1955 abgeschlossene Staatsvertrag, der Österreich neben der Neutralitätsverpflichtung die Freiheit von den Siegermächten brachte, die Fortsetzung der Sonderstellung Österreichs gegenüber Deutschland. Der Erfolg stärkte nicht nur das österreichische Selbstbewußtsein erheblich, sondern zugleich auch die Zustimmung zu der These, daß es der Alpenrepublik mit der Unabhängigkeit von Deutschland in politischer wie auch in wirtschaftlicher Hinsicht erheblich besser gehe.

Dennoch wurden schon wenige Jahre nach Abschluß des Staatsvertrages die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen (West-) Deutschland und Österreich wieder erheblich enger geknüpft. Es gelang eine Verständigung über das 1945 von den Alliierten in Österreich beschlagnahmte "deutsche Eigentum", welches zu einem großen Teil nach Abschluß des deutsch-österreichischen Vermögensvertrages an Deutschland zurückgegeben wurde; insgesamt Werte im Umfang von 500 bis 600 Millionen Deutsche Mark.

Bereits seit Mitte der fünfziger Jahre bezog Österreich rund 40 Prozent seiner Importe aus der Bundesrepublik. Kontinuierlich steigerte Österreich im Gegenzug die Rate seiner Exporte nach Deutschland, die 1990 bei rund 37 Prozent lag. Das Zusammenwachsen ist im Laufe der Jahrzehnte so eng geworden, daß in Österreich regelmäßig Befürchtungen laut werden, der Staat könnte in wenigen Jahren endgültig zu einem "Bayern II" werden.

Im politischen Raum sind solche Befürchtungen freilich vollkommen unbegründet: In den neunziger Jahren bekannte sich nur noch die FPÖ in ihrem Parteiprogramm zur deutschen Sprach- und Kulturgemeinschaft. Im Bestreben, insbesondere die junge Generation anzusprechen und dabei die häufig gestellte Falle zu umschiffen, von den anderen Parteien als unpatriotisch zum Staat Österreich bloßgestellt zu werden, entschlossen sich Ende der neunziger Jahre auch die Freiheitlichen, solche Grundsätze in Teilen bewußt aufzugeben. So wurde auch die kulturelle Verbindung durch ein klares "Österreich"-Bekenntnis ersetzt. Seither ist das Bekenntnis zu Deutschland in der Alpenrepublik im politischen Spektrum vorübergehend vollkommen heimatlos geworden.

Die Ausstellung "Deutschland-Österreich. Verfreundete Nachbarn" wird bis zum 9. Oktober 2006 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig (Grimmaische Straße 6, 04109 Leipzig), anschließend auch in Wien präsentiert.


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