© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Solidarität
Karl Heinzen

Erwerbstätige sollten für ihre langzeitarbeitslosen Eltern in die finanzielle Verantwortung genommen werden können. Mit diesem Vorschlag ist es CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla gelungen, auf einen Streich gleich zwei Impulse zu geben.

Zum einen soll eine breite Öffentlichkeit dazu angeregt werden, neu über den Begriff der Solidarität nachzudenken. Dazu gibt es Anlaß genug: In jüngster Zeit bemühen sich nämlich einschlägige Ewiggestrige wie etwa Oskar Lafontaine, ihn für sich zu pachten und in seinem Namen die Bewahrung des überkommenen Sozialstaat einzufordern. Daraus spricht jedoch ein pervertiertes Verständnis von Solidarität. Sie meint eben nicht: Der anonyme Staat soll für alles und jeden sorgen. Statt dessen ist jeder Einzelne dazu aufgerufen, persönlich Verantwortung für das Wohlergehen der anderen zu übernehmen. Und was läge eben näher, als die so und damit in ihrem ursprünglichen Sinn verstandene Solidarität zu allererst im Kreise der Familie zu praktizieren - und hier nicht bloß als eine Einbahnstraße von den Eltern gegenüber den Kindern, sondern auch in umgekehrter Richtung?

Da durch diese Hintertür der "Sippenhaftung" das Denken in Abstammungsgemeinschaften natürlich nicht wieder salonfähig gemacht werden soll, gilt es somit, weniger die Nase über Pofallas Anregung zu rümpfen, als vielmehr darüber nachzudenken, wie auch noch andere Verantwortlichkeiten konstruiert werden können: Warum soll man beispielsweise nicht für Nachbarn aufkommen, die in die Arbeitslosigkeit abgerutscht sind, oder für ehemalige Schulkameraden, die im späteren Berufsleben strandeten?

Vor allem aber hat Pofalla für mehr Klarheit in den eigenen Reihen gesorgt. Aus den Stellungnahmen zu seinem Vorstoß lassen sich deutlich die beiden paradigmatischen Positionen erkennen, die in der aktuellen Grundsatzdebatte der Union zur Sozialpolitik bezogen werden: Auf der einen Seite stehen entschlossene Reformer, die vor keiner notwendigen Grausamkeit zurückschrecken, auf der anderen nachdenkliche Pragmatiker, die darauf hinweisen, daß die CDU populär sein muß, um Wahlen zu gewinnen.

Diese Positionen mögen zwar sachlich kaum zu vereinbaren sein. Sie finden aber dennoch beide ihren Platz in der Union, die damit ihrer schon zu Adenauers Zeiten begründeten Tradition treu bleibt: Sie betreibt jene Politik, die halt betrieben werden muß. Sie vermiest dabei aber den Bürgern nicht unnötig die Laune, indem sie auch schon mal zu verschweigen weiß, wohin die Reise eigentlich geht.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen