© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/06 18. August 2006

WIRTSCHAFT
Die Krise herbeireden
Jens Jessen

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beweist wahrsagerische Fähigkeiten: "Den neuen Bundesländern steht in den kommenden Jahren am Arbeitsmarkt eine dramatische Entwicklung bevor. Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird weiter sinken, die Zahl der Erwerbstätigen im Osten wird darum in den nächsten 15 Jahren noch einmal um eine Million zurückgehen", erklärte IAB-Direktorin Jutta Allmendinger. Ihr Horrorszenario läßt für 2050 nur noch 4,5 Millionen von heute zehn Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter übrig. Schon bis 2020 soll die Zahl der Erwerbstätigen um eine Million abnehmen. Gleichzeitig verringert sich die Nachfrage nach Arbeitskräften. Der circulus vitiosus von abnehmender Bevölkerung, Halbierung der Zahl der Erwerbstätigen und Überalterung verhindert danach die für eine Stabilisierung nötige wirtschaftliche Dynamik wegen des Mangels an Produzenten und Verbrauchern.

Daß die Produktion in Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt schon heute zu einem hohen Prozentsatz in den Export geht und damit Arbeitsplätze in den neuen Bundesländern schafft, daß Mecklenburg-Vorpommern als Reiseland noch bei weitem nicht voll ausgebaut ist und dennoch Millionen aus dem Westen und dem Ausland bei sich begrüßen kann, wird in Allmendigers Szenario außen vorgelassen. Laut dem Nürnberger IAB gibt es eine Chance zur Umkehr des Abwärtstrends: mit mehr Zuzügen von Ausländern könnte das Problem bewältigt werden. Wie das, fragt sich der Betrachter, dem gerade klargemacht wurde, daß die Nachfrage nach Arbeitskräften weiter sinken wird. Vielleicht sollen die Zuwanderer die Zahl der Konsumenten erhöhen. Schließlich erhalten sie Sozialhilfe, die sie in den Konsum stecken. Das ist genial. Oder nur dumm?


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