© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

Bald Rechtsrat vom Autoschlosser
Justizpolitik: Das geplante Rechtsdienstleistungsgesetz soll das bisherige Anwaltsmonopol einschränken
Georg Pfeiffer

Die schwarz-rote Bundesregierung hat letzte Woche ein neues Rechtsdienstleistungsgesetz verabschiedet, welches das bisher geltende Rechtsberatungsgesetz aus dem Jahre 1935 vollständig ersetzen soll. Das bisher bestehende Anwaltsmonopol auf die Rechtsberatung soll darin weiter eingeschränkt werden.

Nur der Kernbereich, insbesondere die Vertretung vor Gericht und in Angelegenheiten, die "nach der Verkehrsanschauung oder der erkennbaren Erwartung des Rechtsuchenden" eine eingehende rechtliche Prüfung erfordern, bleiben Rechtsanwälten vorbehalten. Ausdrücklich davon ausgenommen sind Schlichtungs- und Mediationsverfahren, wissenschaftliche Gutachten, an die Allgemeinheit gerichtete Erörterungen von Rechtsfragen sowie die Fördermittelberatung.

Wo die rechtliche Beratung und Vertretung als Nebenleistung zu einer anderen Hauptleistung angesehen werden kann, darf künftig der Hauptleistungserbringer, auch wenn er kein Jurist ist, die Beratung und außergerichtliche Vertretung wahrnehmen. Paradebeispiel dafür ist die Kfz-Mechaniker, der ein Unfallfahrzeug repariert. Künftig kann er auch gleich den Schaden bei der gegnerischen Versicherung geltend machen. Die Schadensregulierung war auch bisher schon stark formalisiert und wurde häufig ohne Beteiligung von Rechtsanwälten abgewickelt. Der Architekt, der für die Errichtung eines Bauwerkes bestellt ist, soll auch über die baurechtliche Haftung beraten dürfen. Banken und Versicherungen sollen ihre Kunden künftig auch über rechtliche Möglichkeiten etwa bei der Vermögensnachfolge aufklären dürfen.

So vernünftig das alles klingt, birgt es doch erhebliche Risiken, die für den Rechtsuchenden nicht ohne weiteres zu erkennen oder in ihrer Tragweite abzuschätzen sind. Jeder Rechtsanwalt ist per Gesetz zur Verschwiegenheit verpflichtet und nimmt dies in der Regel auch sehr ernst, weil die Verschwiegenheit Teil seines anwaltlichen Berufsethos ist. Ihm - und nur ihm- steht selbst vor Gericht ein Recht zur Aussageverweigerung zu, wenn etwa gegen seinen Klienten ermittelt und verhandelt wird.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch die strikte Parteigebundenheit des Anwaltes. Ihm ist es verboten, widerstreitende Interessen zu vertreten. Dieses Verbot wird von den Rechtsanwaltskammern recht genau überwacht. Bei schwerwiegenden Verstößen droht dem Anwalt der Entzug der Zulassung. Auch ist bei einem Rechtsanwalt in der Regel die persönliche Unabhängigkeit sichergestellt. Er darf keiner Nebentätigkeit nachgehen, die zu seinen anwaltlichen Berufspflichten in Widerspruch steht. Schließlich unterliegt der Anwalt einer sehr strengen Haftung für Beratungsfehler und ist verpflichtet, sich angemessen zu versichern.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) verweist darauf, daß es dem Rechtsuchenden in jedem Fall unbenommen bleibt, sich anwaltlich beraten zu lassen. Doch ist es für ihn schon bei einem Rechtsanwalt schwer bis unmöglich, die Qualität der Beratung objektiv einzuschätzen - wie sollte er dann in der Lage sein, die Risiken einer Beratung durch die (formal) gegenerische Vertragspartei irgend abzuschätzen, die eben auch gar keine "umfassende" Beratung schuldet, diese unter Umständen gar nicht zu leisten vermöchte und darüber hinaus noch eigene Interessen verfolgt.

Immerhin hält sich die Kritik auch auf der Seite des Deutschen Anwaltvereins (DAV) durchaus in Grenzen, zumal Zypries die besondere Stellung der Rechtsanwälte betont und sie als die einzigen ausgewiesenen Ansprechpartner für umfassenden Rechtsrat anerkennt.

Beratung und Vertretung werden "Dienstleistungen"

Der DAV besteht lediglich darauf, daß das Kriterium der "Nebenleistung" eng auszulegen sei. Der Bundesverband Deutscher Unternehmensberater (BDU) hat das Gesetz ausdrücklich begrüßt, besonders auch die besseren Möglichkeiten zur beruflichen Kooperation mit Rechtsanwälten, die bislang begrenzt waren. Eindeutig kritisch äußerte sich nur der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Ihm geht die Liberalisierung lange nicht weit genug.

Tatsächlich war das sogenannte Anwaltsmonopol schon bisher eher theoretischer Natur und wurde von neuen Berufsgruppen wie Unternehmensberatern, Mediatoren und zahlreichen Verbänden Schritt für Schritt in Frage gestellt.

Gemessen an den eher begrenzten inhaltlichen Änderungen fragt sich, weshalb das bisher geltende Gesetz nicht nur geändert, sondern komplett aufgehoben werden muß. Das wird damit begründet, daß das Rechtsberatungsgesetz als "historisch belastet" gelte - nicht ganz zu Unrecht. Indem das 1935 erlassene Gesetz die berufliche Rechtsberatung von einer besonderen Zulassung abhängig machte und gleichzeitig die Zulassung von Juden generell ausschloß, verfolgte es (auch) eine inakzeptable Intention.

Doch die rassische Diskriminierung war unmittelbar nach dem Ende des Dritten Reiches aus dem Gesetz getilgt worden. Die späte Aufhebung des gesamten Gesetzes ist ein Sieg über einen Feind, der sich schon verflüchtigt hat. Außerdem bietet die Neufassung die Chance zu der beliebten "sprachlichen Modernisierung". Offenkundig finden die Beamten des Justizministeriums "Dienstleistungen" schicker als "Beratung" und "Vertretung". Die Deutschen müssen angesichts dessen froh sein, daß kein "Rechtsproduktegesetz" über uns kommen wird.


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