© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

Paradox wie Dürer im Musikverein
Die Mozart-Ausstellung in der Wiener Albertina bemüht sich vergeblich um Alleinstellungsmerkmale
Ekkehard Schultz

Mit keinem anderen Komponisten des deutschen Kulturraums haben sich Autoren der ganzen Welt derart intensiv auseinandergesetzt wie mit dem Salzburger "Wunderkind" Mozart. Nahezu jede Seite seines Lebens wurde beleuchtet: Mozart als Popstar des 18. Jahrhunderts, Mozart als Rebell, das "süße" Wunderkind, der ewig Mißverstandene, der Liebling der Götter - kein Klischee, welches nicht längst Verwendung fand und hinter dem nicht doch zumindest ein Fünkchen Wahrheit zu stecken scheint.

Unter solchen Voraussetzungen muß es schwerfallen, den richtigen Anknüpfungspunkt für das größte Einzelprojekt des Wiener Mozartjahres anläßlich des 250. Geburtstages des Komponisten - eine Mozart-Ausstellung in den Räumen der Albertina - zu finden. Wie kann ein solches Projekt mehr als nur einen Tupfer innerhalb eines Veranstaltungsmarathons von Konzerten und Vorträgen darstellen?

Mit Neuem, bislang Unbekannten zum Thema Mozart vermag weder die Wissenschaft noch die Kultur dienen. Die Werke des Komponisten werden nicht nur in den Grenzen der Alpenrepublik mit einer Regelmäßigkeit gespielt und aufgeführt, die längst ermüdet. Zahlreiche gute und weniger gute Biographien wurden geschrieben und Filme über das Leben Mozarts gedreht. In Salzburg bedarf es ohnehin keines Mozart-Jubiläums, da dort seit vielen Jahrzehnten ständig "Mozartzeit" ist, mit der Touristen aus aller Welt angelockt werden sollen.

In Salzburg ist seit Jahren ständig "Mozartzeit"

Was kann eine Mozart-Ausstellung in Wien da noch bieten außer einem schalen Aufguß, der von einem kleinen Kreis an üblichen Verdächtigen als Pflichttermin goutiert wird? Es ist der heute oft zu vernehmende Ruf an ein "anderes Publikum", welches sich "noch nicht mit Mozart beschäftigt", wie sich Kurator Herbert Lachmayer, Direktor des für das Projekt verantwortlich zeichnenden Da Ponte-Instituts, auf der Pressekonferenz vor Ausstellungsbeginn ausdrückte. Doch wer soll dieses "andere Publikum" sein? Der Untertitel der Ausstellung "Experiment Aufklärung" hilft da auch kaum weiter; verbindet man den Begriff doch eben genau mit jener bürgerlichen Kultur- und Bildungselite, die ohnehin einen Bezug zu Mozart hat.

Worin könnte also dann das "Andere" bestehen? Es fällt wahrlich schwer, diese Frage zu beantworten. Nach den Worten von Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder ist eine Mozart-Ausstellung in der Albertina ebenso ein Paradoxon, wie es eine Dürer-Ausstellung im Musikverein wäre. Doch so paradox die Verbindung auf den ersten Blick tatsächlich erscheint, ist sie letztlich keineswegs: Direkt mit der Person Herzog Alberts von Sachsen-Teschen, der sowohl den Grundstock der Albertina-Sammlung als auch den Bau des ersten Komplexes leitete, verbindet Mozart die Komposition "Der Schauspieldirektor", die aus Anlaß eines mittäglichen Banketts, welches Kaiser Joseph II. zu Ehren des Herzogs am 7. Februar 1786 in der Orangerie von Schloß Schönbrunn gab, unter seiner persönlichen Leitung uraufgeführt wurde. Zudem widmete der Schöpfer des berühmten Mozart-Werkverzeichnisses, Ludwig Ritter von Köchel, diese Arbeit Erzherzog Albrecht. Albrecht war wiederum der älteste Sohn von Erzherzog Carl, dem Universalerben Herzog Alberts.

Das "Andere" sieht anders aus

Davon abgesehen, wirkt eine übergreifende Zusammenarbeit zweier derartiger Kunst- und Kulturtempel, die den Charme der alten Wiener Zeit besonders trefflich verkörpern, keineswegs sonderbar; zumal die strikte Trennung der Museen auch in der einstigen Kaiserstadt längst der Vergangenheit angehört. Von einem "anderen" Publikum in beiden Häusern auszugehen, ist da sehr gewagt.

Bliebe noch die Möglichkeit, das "Andere" in der Gestaltung der Präsentation zu suchen. Doch auch hier Fehlanzeige: Zwar gibt es durchaus räumliche Experimente, die im Rahmen anderer Sonderausstellungen eher unüblich sind, wie Trennwände, schlängelförmig angeordnete Vitrinen und ein dem spätbarocken Stil nachempfundenes rosa-gelb-bläuliches Teppichband, welches den Besucher über mehrere Etagen durch die Ausstellung geleiten soll - was angesichts der Präsentationsgeschichte der Albertina schon fast revolutionär wirken mag, ist es doch keineswegs. Ganz abgesehen davon, läßt die klassische Gestaltung der Räumlichkeiten einen Bruch mit den sich in ihnen widerspiegelnden Traditionen auch gar nicht zu. Dazu wurde bei der Generalsanierung des Gebäudes vor wenigen Jahren viel zu sehr auf eine originale Rekonstruktion geachtet.

Letztlich bleibt dann nur noch, das "Andere" im Inhaltlichen zu suchen. Doch auch dort wird man enttäuscht. So gut wie nirgends bürstet die Ausstellung gegen die Erwartungen bzw. gegen den Strich, wie es vielleicht eine Konzentration auf die Rezeptionsgeschichte Mozarts zugelassen hätte. Allein das reiche Material an Überlieferungen, Bearbeitungen und Perspektiven böte die Ausgangsbasis für ein Projekt, in welchem man mit einem Augenzwinkern alle Arten von Überspitzungen herausarbeiten könnte. Aus der Perspektive des aufgeklärten Beobachters würde der Besucher gezwungen, sein vorhandenes Mozart-Bild zu überdenken. Zweifellos wäre dies auch eine starke Herausforderung an zeitgenössische Künstler gewesen, sich selbst mit dieser Thematik genau auf die aktuelle Präsentation bezogen auseinanderzusetzen.

Doch diesen Schritt sind die Ausstellungsmacher nicht bzw. nicht konsequent gegangen. Statt dessen wird dem Publikum klassische Biographiearbeit präsentiert - mit einer Fülle wichtiger, wertvoller und streckenweise auch überaus interessanter Objekte, welche aus dem gesamten europäischen Kulturraum zusammengetragen wurden, aber doch letztlich Erzeugnisse ihrer Zeit bleiben -, dazu etwas moderne Kunst und Versatzstücke einer Rezeptionsgeschichte dargeboten werden. Man spürt hier durchaus das Bemühen, ein "anderes" Publikum anzusprechen, aber gleichzeitig die ständige Befürchtung, die klassische Klientel mit etwas gewagteren Experimenten von einem Besuch der Ausstellung abzuschrecken.

Dieser Mangel an Konsequenz spiegelt sich in den einzelnen Kapiteln der Ausstellung überall wider. Der Präsentation fehlt dadurch etwas entscheidendes: ihr inhaltlicher Kern. Ein solches Manko läßt sich nicht damit ausgleichen, daß man die Präsentation der meisten Objekte mit einer besonderen Liebe zum Detail vorgenommen hat, wenn das Publikum die Botschaft nicht versteht. Denn von der höfischen Alltagsmode des Rokoko bis zu einem der reizend anzusehenden heutigen Haute-Couture-Kleider ist es - trotz aller formalen Ähnlichkeit - ein weiter Weg, welcher der Erklärung bedürfte.

Interessante These - was hat sie mit Mozart zu tun?

Ein von Kurator Lachmayer immer wieder gebrauchter Lieblingsbegriff zur Epoche Mozarts ist derjenige der "produktiv gewendeten Dekadenz". Für Lachmayer sind der Sinnenrausch und der schöpferische Gestus der höfischen Welt des späten 18. Jahrhunderts, die auf die Gesamtgesellschaft abfärbte, untrennbar miteinander verbunden. Dieser Welt, die er auch noch um 1900 im französischen Fin de siècle repräsentiert sieht, stellt der Kurator den kühlen "Management-Absolutismus" unserer heutigen neoliberalen Leistungsgesellschaft gegenüber.

Ohne Zweifel ist dies eine überaus interessante These, auf die sich eine Ausstellung aufbauen läßt. Nur muß sie dann auch in der Lage sein, die Frage zu beantworten, wo die Person Mozarts in einer Ausstellung bleibt, die seinen Namen trägt.

Die Ausstellung "Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts" ist noch bis zum 20. September in der Albertina Wien, Albertinaplatz 1, zu sehen. Tel: 00 43 / 1 / 75 12 61 63-22. Der reich bebilderte Katalog kostet 29 Euro.

Bild: Vater Mozart mit seinen Kindern (Louis Carrogis de Carmontelle, Bleistift laviert, 1763): Mit vier Jahren fing er an Klavier zu spielen


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen