© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/06 01. September 2006

Inflationäre Instrumentalisierung
Der Antisemitismusvorwurf als Wahn und Waffe greift gegenwärtig auch im linken "Diskurs" um sich
Thomas Koch

Charlotte Knobloch überraschte kurz nach ihrer Wahl mit einem Vorschlag, den man der als moderat geltenden neuen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden nicht zugetraut hätte. Denn die Geschichtsstunden an deutschen Schulen um eine der Vermittlung des "Holocaust" dienende, separate Unterrichtseinheit zu erweitern, diese Idee erwartet man eher von bewältigungspolitischen Ultras vom Schlage Salomon Korns. Was von Knobloch vielleicht als Beitrag zur Eindämmung eines vor dem Hintergrund des Nahost-Konflikts angeblich wieder virulenten deutschen und europäischen Antisemitismus gedacht war, traf jedoch auf weitgehendes Unverständnis. Nicht zuletzt deshalb, weil die selten öffentlich diskutierten Resultate der beispiellosen volkspädagogischen Großoffensive in Sachen Holocaust, die in den letzten zwanzig Jahren über bundesdeutsche Klassenräume hinweggerollt ist, wenig optimistisch für die von Knobloch geforderte Intensivierung gestimmt haben dürften.

Was alle über die desaströse Folgen dieses didaktischen Massenexperiments wissen, aber was Schulbehörden gern für sich behalten, durften die zwei jungen Leserbriefschreiber Frederic Raue und Florian Wolfrum in der FAZ (Ausgaben vom 26. Juli und 4. August) als Antwort auf Knoblochs Vorschlag formulieren. Raues Frankfurter Klasse reagierte nach Jahren der Überfütterung mit der NS-Thematik schließlich mit kollektivem Ungehorsam, worauf eine hysterische Referendarin nach bekanntem Pawlowschen Muster Antisemitismus-Alarm auslöste.

Wolfrum schildert, wie bei ihm in Göttingen der "Holocaust" verknüpft mit "Ausländerfeindlichkeit" den Unterricht flächendeckend erfaßt habe: "Deutsch, Geschichte, Sozialkunde, Religion" - "flankiert wurde das Ganze von antirassistischen Themen in den landeskundlichen Bestandteilen des Fremdsprachenunterrichts", wo sich "stark linkslastige Studienreferendare" hätten "austoben" können. Mit dem Erfolg, daß "wir zu Beginn des zwölften Jahrgangs" es "nicht mehr hören konnten" und vom Geschichtslehrer forderten: "'Nie wieder Nationalsozialismus, nie wieder Holocaust!'" Jeder Hochschuldozent kann bestätigen, daß Abiturienten nach einer derartig verengten, der marxistischen Indoktrination der Schüler und Studenten in der DDR vergleichbaren Ausbildung als historische Analphabeten in die Seminare des geistes- und sozialwissenschaftlichen Grundstudiums entlassen werden.

Doch die weitgehend stumme Ablehnung, über die nicht gesprochen wird, die aber als Faktum unbezweifelbar ist, provozierte nicht nur Knoblochs verstockte Forderung nach einer schärferen Gangart. Seit Monaten befinden sich deutsche Intellektuelle nämlich wieder einmal, wie zu Treitschkes Zeiten, in einem "Antisemitismusstreit", der durch zwei Besonderheiten auffällt: Zum einen wird er weitgehend im Internet ausgetragen, garantiert also eigentlich maximale Aufmerksamkeit, zeitigt indes ungeachtet ausufernder Polemiken eine eigenartige Resonanzlosigkeit außerhalb dieses Mediums. Zum anderen sind an diesem Streit fast ausschließlich Linke und Linksliberale beteiligt, die sich wechselseitig als "Antisemiten" denunzieren.

Und auch in dieser Diskursvariante scheint die Politik Israels und die der USA im Vorderen Orient den Referenzrahmen der bundesdeutschen Querelen abzugeben. Denn die Angriffe der selbsternannten "Anti-Antisemiten" konzentrieren sich seit Ende 2005 mehr und mehr auf den Nahost-Experten Ludwig Watzal. Der ist Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung und kommentiert so kontinuierlich wie kritisch in des Rechtsradikalismus unverdächtigen Organen wie der Wochenzeitung Freitag oder dem Deutschland-Radio Israels Besatzungs- und Siedlungspolitik in Palästina, sorgte sich aber auch um den Einfluß der "Israel-Lobby" in Europa, etwa wenn er vor Einschränkungen der Meinungsfreiheit warnte, die mit der Geschäftsstrategie des US-jüdischen Medienmoguls Chaim Saban einhergehen könnten und die in den USA bereits zum Alltag von Journalisten und Wissenschaftlern gehören (JF 17/06).

US-Gelder für die Verfolgung von Antisemiten

Watzals unbequeme Einlassungen mußten den Schlag mit der "Antisemitismus"-Keule deswegen geradezu herausfordern. Eine führende Rolle bei dieser Hetzjagd spielt der in Frankfurt am Main agierende jüdische Immobilienhändler Sacha Stawski, der im Internet eine "Mailingliste" ("Honestly Concerned") betreibt, deren erklärtes Ziel eine "wahrhaftige Nahost-Berichterstattung" ist. Freimütig bekennt Stawski, dafür und für die bevorstehende Eröffnung eines Berliner Büros "US-Gelder" zu erhalten.

Watzal-Verteidiger meinen daher, Stawskis Nachrichtendienst, der nach eigenen Angaben 1.200 Multiplikatoren bedient, betreibe nichts anderes als "schmuddelige Lobbyarbeit für die israelische Regierung". Die Denunziation von deutschen Israel-Kritikern als "Antisemiten" gehört zum Geschäft. In einem Land, das, wie der Zeit-Leitartikler Josef Joffe auf dem Höhepunkt der "Hohmann-Affäre" konstatierte, nur noch zwei wirkliche Tabus kenne, "Kinderschändung und Antisemitismus", verspricht Stawskis Strategie der impliziten Instrumentalisierung des "Holocaust" jedenfalls maximalen Erfolg. Watzal darf sich mittlerweile denn auch in seiner bürgerlichen Existenz bedroht fühlen.

Ein wenig dazu beigetragen hat der Berliner Politologe Lars Rensmann. Er ist der Schüler des dortigen Politologen und "Antisemitismusforschers" Hajo Funke, der bislang weniger als Wissenschaftler denn als exaltierter Volkspädagoge in Sachen "Rassismus" und "Ausländerfeindlichkeit" auffiel und dessen satte Blamage als "guter Mensch von Sebnitz" (FAZ) noch in frischer Erinnerung ist. Um das hohe Skandalisierungspotential, das "Holocaust" und "Antisemitismus" hierzulande bieten, wirklich voll auszuschöpfen und es als Schmieröl für das eigene Karrierekatapult zu nutzen, schrieb Rensmann eine Doktorarbeit über den "Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepublik", begrenzt auf den Untersuchungszeit zwischen 1990 und 2002, die den Vorwurf der Judenfeindschaft bis tief ins linke Lager hineinträgt.

Getroffen durften sich Hans Mommsen und Hans-Ulrich Wehler fühlen, der Liberale Watzal wie der mit dem Neomarxismus sympathisierende Soziologe Klaus Holz, immerhin Kuratoriumsvorsitzender des Villigster Forschungsforums zu Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus e.V. Holz hat sich inzwischen juristisch beraten lassen und tut kund, er könne "mit besten Erfolgsaussichten" gegen Rensmann klagen. Zunächst wolle er aber den Versuch machen, sich auf die "Mittel eines Wissenschaftlers" zu verlassen und Rensmanns Dissertation, der er mit guten Gründen die Qualität eines wissenschaftlichen Textes abspricht, argumentativ zu widerlegen (Sozialwissenschaftliche Literatur-Rundschau - SLR, 1/06).

Das fällt ihm nicht schwer, da Rensmanns Arbeit dem "Antisemitismus" mit dem Erklärungsmodell der "Kritischen Theorie", also der von Vorurteilen geplagten Psyche des "autoritären Charakters" und seiner "Abwehraggression", so ahistorisch wie apolitisch zu Leibe rückt und dabei nicht einmal auf den von Adorno&Co. vorgelegten Urtext (The Authoritarian Personality, 1950) rekurriert, sondern auf eine arg verstümmelte Kurzfassung der "Studien zum autoritären Charakter", die nach Adornos Tod 1973 erschienen sind.

Der Traum vom universalen "Menschenrechtsregime"

Die windige "Methode" solcher Kurzschlüsse von kommunikativen auf psychische Sachverhalte korrespondiere mit der groben, von "selektiver resp. falscher Rezeption der Fachliteratur" gezeichneten Rekonstruktion gerade der "laufenden innerlinken Debatten über Antisemitismus". Gestützt auf eine, wie Rensmann im selben SLR-Heft in diesem Punkt ausnahmsweise einmal zu Recht repliziert, nicht eben überzeugende Verfassungsschutzexpertise über "Antisemitismus im linksextremen Spektrum in Deutschland nach 1945", bestreitet Holz den Befund einer irgendwie relevanten linken Judenfeindschaft.

Die für Funke und seinen Anhang typische hemmungslose, "inflationäre Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs", nicht zuletzt im Dienst der eigenen Arbeitsplatzsicherung, lasse sich daher nur als akademischer Flankenschutz für die Pro-Israel-Agitation "sogenannter Antideutscher" wie des altlinken Konkret-Chefs Herbert Gremliza begreifen, deren Publikationen von Rensmann folglich ebenso "völlig unkritisch" zitiert würden wie Goldhagens krudes Konstrukt (Hitlers willige Vollstrecker, Berlin 1996) eines "genetisch" determinierten deutschen Judenhasses.

Mit der für Doktrinäre typischen Mischung aus Einfalt und Redseligkeit, die schon dafür verantwortlich ist, daß ihm die Dissertation zu einem abschrekkenden Stilblüten-Depot geriet, versucht Rensmann in einer Replik seinen Ruf als "shooting star" der "Antisemitismusforschung" zu retten. Interessant daran ist nur ein resümierendes Bekenntnis, das seine platte Israel-Apologetik in einen derzeit "angesagten" ideologischen Kontext stellt. Gehe es "progressiver politischer Theorie", die sich "aktiv in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einbringen" wolle, letztlich doch um die Beförderung von "Demokratie und Recht im post-nationalen Raum deterritorialisierter Politik", um "friedensorientierte, internationale Menschenrechtspolitik", um die weltanschauliche Legitimierung eines universalen "Menschenrechtsregimes".

Immigrationisten wie Funke und Rensmann, im Anschluß an die Entortungsphantasien einer Seyla Benhabib (JF 16/05) und im Geist des von der "angst- und repressionsfreien Welt" träumenden Utopisten Herbert Marcuse hoffen also bemerkenswert wundergläubig, mit der Transformation von Nationen in "Einwanderungsgesellschaften" diesem Traumziel näherzukommen. Wer diesen Traum nicht mitträumt, kann nur "Antisemit" sein.

Foto: "Antideutschen"-Demonstration, Dresden im Februar 2005: Kinderschändung und Antisemitismus als die letzten wirklichen Tabus


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