© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Ringstorff hat die Wahl
Mecklenburg-Vorpommern: Rot-Rot liegt in Umfragen vorn / NPD bei sechs Prozent / Geringe Wahlbeteiligung erwartet
Christian Anders

Wären am vergangenen Sonntag Landtagswahlen gewesen, hätten jene knapp 40 Prozent der Wahlberechtigten aus Mecklenburg-Vorpommern, die angaben, von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen zu wollen, für ein Kopf-an-Kopf Rennen von CDU und SPD gesorgt. Die amtierende rot-rote Koalition käme nach jüngsten Einschätzungen infolge von Stimmenzuwächsen bei der PDS nach wie vor auf über 50 Prozent der Stimmen - und die NPD könnte mit derzeit sechs Prozent in den Umfragen den Sprung in den Landtag schaffen.

Diese Zahlen deuten nicht nur auf das Problem der Politikverdrossenheit, sie umreißen vor allem das Dilemma der CDU im nordöstlichsten Bundesland der Republik. Selbst wenn es der Union gelingen sollte, stärkste Kraft im Landtag zu werden, liegt die Entscheidung darüber, ob die Christdemokraten Regierungsämter bekleiden werden, wohl nicht in ihrer Hand. Die FDP wird trotz eines möglichen Einzugs in den Landtag kaum das Zünglein an der Waage einer bürgerlichen Koalition spielen können.

Auch im für die Sozialdemokraten schlechtesten Fall eines Wahlsiegs der Union könnte sich Ministerpräsident Harald Ringstorff nach dem Wahlabend zwischen den Alternativen einer Weiterführung des bundesweit ersten rot-roten Tabubruchs oder einer Zusammenarbeit mit der CDU entscheiden. Eine von der Union geführte schwarz-rote Regierung scheint am ehesten unter dem Vorzeichen größerer Verluste der SPD vorstellbar. So etwa wenn Ringstorff durch ein schlechtes Abschneiden - Wahlumfragen sehen die SPD derzeit circa zehn Prozentpunkte hinter ihrem Wahlergebnis von 2002 - zum Rücktritt gezwungen wäre.

In Kenntnis einer für sie durchaus beruhigenden Konstellation dominieren Ringstorffs Genossen einen insgesamt drögen Kampf um die Wählergunst. Das aufregendste Ereignis in Ringstorffs Wahlkampf seien die Steine, die linksextreme Globalisierungsgegner Mitte vergangener Woche auf das Wohnhaus des Ministerpräsidenten prasseln ließen, spottete die Frankfurter Rundschau. Die Sozialdemokraten werben mit den dürftigen Errungenschaften der Koalition. Wiederkehrend zitierte Erfolgsindikatoren: 346 neu angesiedelte Firmen und einige Wachstumsbranchen im Technologie-, Tourismus- und Gesundheitswirtschaftsbereich.

Deutliche Koalitionsaussagen der SPD bleiben trotz der vielzitierten "rot-roten Leistungen" Mangelware. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont Ringstorff, daß sich seine Regierungspartner entscheiden müßten, ob sie regieren oder opponieren wollen. Ringstorffs Kritik an der wenig einsichtigen Basis der SED-Erben folgen in aller Regel jedoch gönnerhafte Gunstbeweise in Richtung seiner loyalen PDS-Minister. Diese steckten in den vergangenen Legislaturperioden willfährig jede machtpolitisch motivierte Demütigung des Ministerpräsidenten ein. Nicht einmal der offene Bruch des Koalitionsvertrages bei Abstimmungen im Bundesrat war ein Hinderungsgrund für die Weiterführung der Regierung. Je mehr Kröten die postkommunistischen Minister verschlangen, desto lauter klagte die Basis über deren "neoliberalen Kurs". Eine Folge dieses fortwährenden dunkelroten Vabanque-Spiels ist, daß die WASG in Mecklenburg-Vorpommern nun gegen die PDS antreten wird.

Stimmen am äußerst linken Rand könnten für die PDS damit verlorengehen. Im Wahlkampf wirbt die Partei nun einerseits mit den spärlichen Erfolgen von Rot-Rot - andererseits mit einer diffusen Mischung aus Antifaschismus, sozialistischen Kalendersprüchen und der DDR-Nostalgie alter FDJ-Lieder. SPD-Chef Till Backhaus warf den SED-Erben im Kontext ihrer zweifelhaften
Plakatkampagne rückwärtsgewandtes Denken vor, dem nur noch der alte "bau auf bau auf"-Slogan fehle.

Mit der CDU gehen die Sozialdemokraten indes nicht weniger hart ins Gericht. Jahrelang habe die Union das Kernvorhaben der SPD/PDS-Koalition - eine gigantische Gebiets- und Verwaltungsreform - bekämpft. Sogar eine Klage vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald sei anhängig. Vor wenigen Wochen signalisierte CDU-Spitzenkandidat Jürgen Seidel der SPD in Sachen Verwaltungsreform nun jedoch Gesprächsbereitschaft: Einer Zusammenarbeit der beiden Volksparteien stünden nur einige verfassungswidrige Teile des Reformvorhabens entgegen. Die Sozialdemokraten werteten dies als Angebot eines "schmutzigen Deals", der aus der Hoffnung auf eine Große Koalition resultiere. Überhaupt, so Ringstorffs Vorwurf, sei die CDU in vielen Punkten unglaubwürdig: Wesentliche Aspekte des Parteiprogramms seien gar aus dem Regierungsprogramm der SPD "abgeschrieben", die Kritik an der Landesregierung sei macht- und nicht sachpolitisch motiviert und der CDU Spitzenkandidat nur "ein blasser Filialleiter der Merkel-CDU".

Trotz solcher Angriffe geht Ringstorff einer direkten Auseinandersetzung mit dem eloquenten Oppositionsführer der Union eher aus dem Weg. In den Genuß eines Rededuells mit dem Spitzenkandidaten der CDU wird Ringstorff seine Landeskinder nur einmal kommen lassen. Auch dies mag dem ohnehin geringen öffentlichen Interesse am Wahlkampf zuträglich sein.


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