© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Tod eines Grenzgängers
NPD : Mit Uwe Leichsenring verlieren die sächsischen Nationaldemokraten eine Führungsfigur / Partei wehrt sich gegen Vorwurf der Einschüchterung im Wahlkampf
Peter Freitag

Am vergangenen Mittwoch kam der parlamentarische Geschäftsführer und stellvertretende Vorsitzende der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, Uwe Leichsenring, bei einem Verkehrsunfall in der Nähe von Pirna ums Leben. Der 39jährige Abgeordnete scherte nach Angaben der Polizei mit seinem Fahrzeug zum Überholen aus einer Kolonne aus und kollidierte mit einem entgegenkommenden LKW. Leichsenring erlag noch an der Unfallstelle seinen schweren Verletzungen.

Die genaueren Umstände des Unfalls - warum der Fahrlehrer trotz Gegenverkehrs überholte - sind noch ungeklärt. Die NPD-Fraktion wies einen Bericht der Sächsischen Zeitung zurück, in dem über einen Selbstmord spekuliert worden war. Weder in der Partei noch im familiären Umfeld Leichsenrings habe es Anzeichen für eine Suizid-Absicht gegeben, hieß es. Die Dresdner Staatsanwaltschaft ordnete eine Obduktion der Leiche an.

Der sächsische Landtagspräsident Erich Iltgen (CDU) sprach den Angehörigen Leichsenrings sein Bedauern aus. In einem Fernsehinterview sagte Iltgen, der NPD-Politiker sei ein "Mann der Opposition" gewesen, "der die Grenzen der parlamentarischen Debatte im Sinne seines Wählerauftrages auszuloten versuchte, was durchaus legitim ist". Diese Wortwahl wurde umgehend von der Fraktion der Linkspartei als "verharmlosend" kritisiert.

Für den Verstorbenen rückt der Dresdner Rene Despang in den Landtag nach. Nachfolger Leichsenrings als parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion ist der Abgeordnete Johannes Müller. Mit dem Tod Leichsenrings verliert die sächsische NPD eines ihrer prominentesten Aushängeschilder. Als einer von wenigen an der Spitze von Landespartei und -fraktion war Leichsenring nicht als "Westimport" hinzugekommen, sondern stammte aus Sachsen. Im Gegensatz zu vielen anderen Mitgliedern der NPD war er in seinem Wahlkreis in der sächsischen Schweiz im öffentlichen Leben etabliert und über den Kreis der Parteianhänger hinaus anerkannt und akzeptiert. Unter der Hand hieß es daher immer wieder, Leichsenring solle der Spitzenkandidat bei der nächsten Landtagswahl werden.

Unmittelbar nach Bekanntgabe der für die NPD aussichtsreichen Umfrageergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern von sechs Prozent ist eine neue Diskussion über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die Partei aufgekeimt. Mit seinem Vorstoß erntete SPD-Bundestagsfraktionschef Peter Struck jedoch überwiegend Widerspruch.

Im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Umfrageergebnisse tauchten auch Meldungen auf, wonach NPD-Mitglieder Informationsstände anderer Parteien "umringt" und deren Wahlkämpfer "bedroht" hätten. Mitglieder insbesondere der SPD und der Linkspartei berichteten von Übergriffen, und das Landesamt für Verfassungsschutz äußerte sich "besorgt über aggressives Verhalten der rechtsextremistischen NPD".

So soll die SPD-Abgeordnete Margret Seemann an einem Stand ihrer Partei in Hagenow von NPD-Leuten und deren Spitzenkandidat Udo Pastörs bedroht worden sein, so daß "sich kein Bürger mehr an den SPD-Stand getraut habe", wie die Welt berichtet. Erst nach Eintreffen der Polizei habe sich die Situation beruhigt.

Nach Ansicht der NPD habe es sich dabei jedoch nur um den Versuch einer Diskussion mit dem politischen Gegner gehandelt, wozu dieser jedoch nicht fähig gewesen sei. Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster wies gegenüber der JUNGEN FREIHEIT den Vorwurf der Einschüchterung zurück. So habe auch die herbeigerufene Polizei festgestellt, daß es sich um eine normale Form der wahlkämpferischen Auseinandersetzung gehandelt habe.

Außerdem liege dieser vermeintliche Vorfall schon einen Monat zurück. Fälle, in denen die NPD angegriffen oder behindert werde, würden dagegen kaum publik gemacht. Als Beispiele nannte Köster die Zerstörung eines Informationsstands in Strelitz und den Angriff auf Nationaldemokraten in Greifswald, bei dem die Windschutzscheibe eines Fahrzeugs zerstört worden war.

In Berlin, wo ebenfalls am 17. September Wahlen anstehen, kündigte der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf der NPD die für den 12. September im Rathaus gemieteten Räume für eine Wahlkampfveranstaltung. Grund für die Kündigung ist eine von der Linkspartei für denselben Zeitraum angemeldete Gegendemonstration. Deswegen sei nach Meinung des Bezirksamtes und der Polizei die Situation "nicht beherrschbar". Wirtschaftsstadtrat Bernhard Skrodzki (FDP) teilte mit, es sei nicht auszuschließen, daß sich "Autonome aus der Demonstration lösen, ins Rathaus stürmen und dort für Unruhe sorgen".

Normalerweise könnte der NPD diese Anmietung nicht verwehrt werden. Einzige Ausnahme: wenn gewalttätige Auseinandersetzungen drohen. Dies scheint offensichtlich auch dann zu gelten, wenn - wie in diesem Fall - ausdrücklich nicht der Mieter als Urheber möglicher Gewalttaten festgestellt wird.

In anderen Bezirken der Hauptstadt haben die Behörden grundsätzlich allen Parteien die Nutzung der Rathäuser für Wahlkampfveranstaltungen untersagt. Mit dieser Gleichbehandlung solle möglichen Gerichtsverfahren vorgebeugt werden, mit denen sich die NPD zur Wehr setzen will. Laut Umfragen wird die NPD die Fünf-Prozent-Hürde bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus nicht überspringen, hat aber Chancen, in vier Bezirksverordnetenversammlungen einziehen. 


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