© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Ein Papst auf Heimaturlaub
Bayern: Der Besuch des Kirchenoberhauptes weckt Hoffnungen / Mehr als eine halbe Million Pilger werden zu den Gottesdiensten erwartet
Felix Menzel

Für Atheisten und Antiklerikale bricht jetzt eine schwere Woche an. Der Besuch von Papst Benedikt XVI. in Bayern steht bevor, dem ein Millionenpublikum mit Spannung entgegensieht und der neues Interesse am Glauben, am Christentum und an der Kirche weckt. Nur ein Häuflein Gottloser hat zu Gegenveranstaltungen aufgerufen. Eine kleine "Religionsfreie Zone" wollen sie in München einrichten. Verschiedene Vorträge im Kulturzentrum Gasteig, aufklärerische Liederabende und zuletzt eine "Heidenspaß-Party" stehen auf dem Programm. Die 7,2 Millionen bayerischen Katholiken haben von derlei Aktivitäten bislang wenig Notiz genommen. Seit Wochen ist die Erwartung zu spüren, mit der immer mehr Menschen dem ersten Besuch Joseph Ratzingers in seiner bayerischen Heimat nach seiner Wahl zum Papst im April 2004 entgegenfiebern.

Auch für den Papst wird es ein bewegendes Wiedersehen: "Der Grund des Besuchs war eigentlich doch, daß ich noch einmal die Orte, die Menschen sehen wollte, wo ich groß geworden bin, die mich geprägt und mein Leben geformt haben, und diesen Menschen danken wollte", hat Benedikt XVI. jüngst in dem großen Interview im deutschen Fernsehen gesagt. 1982 nahm Joseph Ratzinger vom Münchner Erzbistum offiziell Abschied, um in die römische Kurie zu wechseln, wo er als Präfekt der Glaubenskongregation mehr als zwei Jahrzehnte die theologische Linie der Kirche schärfte. Oft wiederholt Ratzinger aber, daß Bayern ihm im Herzen die Heimat geblieben ist. Seine fünftägige Visite, die ein wahres Marathonprogramm von Begegnungen, Audienzen und Gottesdiensten umfaßt, ist somit für den 79jährigen Ratzinger eine besondere Reise - eine Reise in die Vergangenheit.

Am Münchner Flughafen werden Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel - beide Protestanten - am Samstag um 15:30 Uhr das Staatsoberhaupt des Vatikans mit militärischen Ehren begrüßen. Sodann fährt Benedikt XVI. in die Innenstadt, wird im gläsernen "Papamobil" über die Ludwigstraße von der Universität bis zum Marienplatz kutschiert. Schon diesen Weg werden viele Tausende von Gläubigen und Schaulustigen säumen. An der Mariensäule auf dem Rathausplatz wird der Papst ein Gebet an die Muttergottes, die Patrona Bavariae, richten. Fünf Jahre, von 1977 bis 1982, stand Ratzinger dem Erzbistum München und Freising vor; er kennt die bayerische Landeshauptstadt bereits seit seinen Studientagen in den fünfziger Jahren.

Neu ist ihm aber die Neue Messe Riem, wo am Sonntag ein gewaltiger Gottesdienst gefeiert wird, zu dem rund 250.000 Menschen erwartet werden. Für den Altar wurde eine erhöhte Plattform gebaut, umrahmt von italienisch anmutenden Zypressen. Darüber schwebt eine kunsthistorische Kostbarkeit: ein 2,23 Meter hohes romanisches Holzkreuz aus dem Jahr 900, die älteste lebensgroße Darstellung des Gekreuzigten, die in der Filialkirche in Enghausen aufbewahrt wird. Zusätzlich zu den Anwesenden werden Millionen von Zuschauern diesen Gottesdienst und die Predigt des "bayerischen Papstes" im Fernsehen verfolgen - für den Bayerischen Rundfunk ist der Besuch aus Rom der größte Einsatz seiner Geschichte. Am Nachmittag steht eine Vesper mit jungen Familien, Religionslehrern und Kommunionkindern auf dem Programm.

Am Montag fliegt Benedikt XVI. mit dem Helikopter zum Wallfahrtsort Altötting. In der dortigen Kapelle wird eine gotische Madonna aufbewahrt, der allerlei Wunder zugeschrieben werden. Mehr als eine Million Pilger kommen jedes Jahr an diesen Ort, um die Muttergottes zu verehren. Ratzinger hat die vom Ruß der Kerzen geschwärzte Skulptur aus Lindenholz erstmals als siebenjähriger Junge mit seinem Vater besucht; in der nationalsozialistischen Zeit war der Familie die Versenkung in religiöse Andacht eine Art geistige Fluchtmöglichkeit. Sein ganzes Leben kam Ratzinger immer wieder, zuletzt 2004 ganz privat, als Wallfahrer nach Altötting. Nun kehrt er als Papst zurück, wird an einer Prozession teilnehmen, auf dem Kapellplatz eine zweite Messe feiern und anschließend Ordensleute und Priesteramtskandidaten treffen.

Seinen Geburtsort Marktl am Inn, wo er die ersten zwei Lebensjahre verbrachte, sieht Benedikt XVI. am Montag kurz vor 19 Uhr wieder - laut Programm sind aber bloß knappe 15 Minuten in dem Ort eingeplant, der seinen berühmten Sohn nur allzu gut zu vermarkteln weiß. Am Abend trifft der Troß des Papstes dann in Regensburg ein, wo Ratzinger als Hochschullehrer lange Jahre tätig war. Monsignore Georg Ratzinger, der zwei Jahre ältere Bruder des Pontifex, praktizierte hier jahrzehntelang als Kirchenmusiker. Auf dem Islinger Feld einige Kilometer außerhalb von Regensburg, einem geräumigen Acker, den Einwohner "Papstwiese" getauft haben, wird am Dienstag der wohl größte Gottesdienst gefeiert, den Bayern je erlebt hat. Bis zu 350.000 Gläubige haben sich angemeldet, einige hundert sogar aus Amerika und Australien. Auch hier hat Joseph Ratzinger erneut die Chance, die Köpfe und Herzen der Deutschen zu erreichen: Seine einnehmende, bescheidene Wesensart und seine hohe geistige und menschliche Bildung stehen ganz im Gegensatz zu seinem einstigen Ruf als sturer "Panzerkardinal".

Die Messen in Bayern wecken hohe Erwartungen. Wie schon beim Weltjugendtag in Köln geht von solchen spirituellen Großereignissen ein ganz eigener Zauber aus. "Wer glaubt, ist nie allein", lautet das Motto der fünftägigen Reise des Papstes. Obwohl von ihr keine Massenkonversion zu erwarten ist, hofft doch die Kirche, daß von dem Besuch Benedikt XVI. eine religiöse Aufbruchsstimmung durch das Land gehen wird. Auch in Bayern waren über Jahrzehnte hohe Austrittszahlen, im vergangenen Jahr mehr als 26.000, und nachlassendes Interesse an Glauben und Gottesdienst zu beklagen. Seit Ratzinger jedoch den Stuhl Petri bestiegen hat, scheint sich eine gewisse Trendwende abzuzeichnen. Die Zahl der Kirchenaustritte sinkt deutschlandweit, es mehren sich sogar die Wiedereintritte. Auch in Deutschland scheint das Bedürfnis nach Religion neuerdings zu wachsen, die völlig "Religionsfreie Zone" ist nur ein Minderheitenwunsch.

Foto: Segnung des Islinger Feldes bei Regensburg: "Papstwiese"


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