© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/06 08. September 2006

Adel der Asozialen
DVD: "Gehetzt"
Martin Lichtmesz

Die Nibelungen", "Metropolis", "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", "Dr. Mabuse, der Spieler" - der Name Fritz Lang (1890-1976) steht emblematisch für die goldene Ära des deutschen Films, als die UFA im Brandenburger Hollywood Babelsberg noch Meisterwerke von Weltgeltung produzierte. Goebbels hätte den teutonischten aller Regisseure gern als Aushängeschild des NS-Films gehabt, obwohl dieser teilweise jüdischer Abstammung war. Nach einigem Schwanken wählte Lang die Emigration, zuerst Frankreich, dann die USA. Vom Thomas-Mann-Syndrom befallen, stilisierte er sich später zum Antifaschisten der ersten Stunde. Wie viele Emigranten brachte er einen düsteren, gesellschaftskritischen Ton in das amerikanische Kino. Er baute Motive aus, die bereits in seinen deutschen Filmen vorhanden waren: schuldig und unschuldig Verfolgte, schicksalshafte Verhängnisse, eine paranoide Stimmung, die von übermächtigen Organisationen beherrscht wird, seien es Polizei, Geheimdienste oder Verbrecherbanden.

Die Filme, die Lang zwischen 1935 und 1956 in Hollywood drehte, können es schwer mit den Bildschöpfungen seiner UFA-Zeit aufnehmen. Dennoch entstanden einige bemerkenswerte Arbeiten, darunter "Gehetzt" ("You Only Live Once", 1937). Henry Fonda spielt einen Ex-Sträfling, dessen kriminelle Vorbelastung ihm zunehmend erschwert, im Leben wieder Fuß zu fassen. Als Verbrecher stigmatisiert, sieht er sich erneut an den Rand der Gesellschaft abgedrängt. Nach einem Banküberfall wird er aufgrund einer Verwechslung verhaftet und zum Tode verurteilt. Schließlich gelingt ihm die Flucht. Seine Verlobte (Sylvia Sidney) schließt sich ihm an, sie werden zu Outlaws à la "Bonnie und Clyde". Bald ist eine ganze Polizei-Flotte hinter ihnen her.

Lang schildert einen sozialen Teufelskreis, in den sich seine Helden in immer fatalerer Weise verstricken. Dabei kommt eine gehörige Skepsis gegenüber der "öffentlichen Meinung" und der Anfälligkeit der Masse für Verhetzung zum Ausdruck. "Fritz Lang beweist den ganzen Film hindurch die niedere Denkungsart der 'guten Gesellschaft' und den Adel des asozialen Paares", schrieb François Truffaut. Dabei romantisiert der Regisseur seine Charaktere reichlich. Wie in seinem ersten großen künstlerischen Erfolg "Der müde Tod" (1921) verklärt er das Ende des Paares zum erlösenden Liebestod - ein Element, das im Ausland als besonders "deutsch" empfunden wurde. "Gehetzt" zeigt Lang auf der Höhe seines Könnens. Eine unerbittlich erzählte Geschichte verbindet sich mit formaler Präzision und stilistischer Eleganz. Die umwerfende, herrlich expressive Schwarzweiß-Fotografie zeigt ihn einmal mehr als Meister über Licht und Schatten.

Die DVD von Arthaus enthält sowohl die deutsche Synchronfassung als auch eine untertitelte Originalversion. Diese ist der platten Eindeutschung in jedem Fall vorzuziehen. "Get me a gun!" bittet Henry Fonda im Gefängnis hinter der Sprechscheibe seine Verlobte. "Man nimmt nur das Klicken wahr, das in diesem Satz die beiden gs und das t machen, und das alles mit einem Blick von unglaublicher Intensität" (François Truffaut).


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