© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

Verhärtete Lage
Das außenpolitische Versagen der USA erweist sich als Hypothek
Carl-Dieter Spranger

Die Bilanz der Außen- und Militärpolitik der Bush-Regierung nach den Terroranschlägen vom 11. September ist katastrophal. Alle Hoffnungen vor und nach den Anschlägen, ein "Krieg gegen den Terror" würde islamistischen Terrorismus beseitigen oder schwächen, Afghanistan und Irak befrieden, den Grundkonflikt des Nahen Osten zwischen Israelis und Palästinensern begrenzen oder beenden, die Ölversorgung sichern, Frieden und Stabilität weltweit fördern, trogen. Im Gegenteil: Die Taliban sind in Afghanistan wieder auf dem Vormarsch, der Irak steht im Bürgerkrieg, der Terror explodierte, und der Islam militarisierte sich weltweit. Die Arroganz, mit der Warnungen vor diesen Entwicklungen aus dem "alten Europa" abgeschmettert wurden, hat viele Freunde Amerikas verletzt.

Die menschenverachtende Behandlung von Gefangenen in Abu Ghraib und in Guantánamo, die weltweiten CIA-Gefängnisse, Gefangenenflüge und Verhörmethoden sind für die USA besonders auch deswegen ein Desaster, weil die Bush-Regierung ihren Kampf gegen "die Achse des Bösen" als Kreuzzug für amerikanische Werte und Moral darstellt.

Statt aus diesen Fehlschlägen zu lernen und militärische Aggression durch Diplomatie zu ersetzen, begann Israel in enger Abstimmung mit den USA einen 34-Tage-Krieg, der die Infrastruktur des Libanon schwer zerstörte, viele hundert Zivilisten tötete und Haß und Terrorismus weiter Auftrieb verschaffte. Keines der Ziele wurde erreicht: die Hisbollah nicht vernichtet, die entführten Soldaten nicht befreit, Syrien und Iran nicht geschwächt. Im Gegenteil: Die Sieger dieses Krieges sind der Iran, seine Verbündeten und die radikalen Islamisten in aller Welt. Dafür befindet sich das politische und moralische Ansehen der USA und Israels weltweit auf historischem Tiefstand.

In dieser schlimmen Lage steht nun der Streit um die Urananreicherung des Iran an. Dessen Bereitschaft zum Einlenken scheint zur Zeit beinahe bei Null zu liegen. Immer massivere Androhungen von Militärschlägen gegen Syrien und Iran verhärten die Lage zusätzlich. Dabei erscheinen nach den bisherigen Erfahrungen neue Militärschläge verantwortungslos und gießen nur Öl ins Feuer beim "Kampf der Kulturen". Sie würden das Pulverfaß Naher Osten endgültig in die Luft sprengen und unabsehbare Folge für die ganze Welt haben.

Es bleiben also nur Verhandlungen. Ob Sanktionsdrohungen Verhandlungen fördern mit dem Ziel, die seit Jahrzehnten aufgestauten Probleme des Nahen Ostens zu lösen, erscheint fraglich. Fraglich ist auch, ob Sanktionen nicht ein stumpfes Schwert bleiben, unterlaufen werden oder eine bedauernswerte Bevölkerung treffen.

Um so notwendiger müssen ernsthafte Versuche zu Verhandlungen unternommen werden, wobei auch festzustellen ist: Der Schlüssel dazu liegt nicht bei den EU- Staaten, Rußland, in Asien oder Afrika, sondern in der Hand der Hauptakteure und Verantwortlichen für die Konflikte im Nahen Osten - bei Iran, Syrien, Libanon und der Hisbollah, der gewählten Hamas-Regierung und ihren arabischen Verbündeten einerseits, bei Israel, den USA und ihren arabischen Verbündeten andererseits. Sie müssen ihre Verantwortung für die bisherige und zukünftige Entwicklung endlich wahrnehmen und direkt miteinander verhandeln.

Haß und Terror wurden durch menschen- und völkerrechtswidriges Verhalten beider Lager in vielen Jahren immer höher aufgeschaukelt. Diese Spirale kann und muß durchbrochen werden. Das haben Jitzhak Rabin und Jassir Arafat mit Hilfe der USA damals erreicht, bis an ihren Nachfolgern der Oslo-Prozeß scheiterte. In Verhandlungen müssen sich die Verantwortlichen endlich mit dem Konflikt, ja Krieg zwischen Israelis und Palästinensern auseinandersetzen und nach Lösungen suchen, wie sie in der "Road map" ja enthalten sind.

Es muß verhandelt werden auf der Basis der Achtung der Menschenrechte, des Völkerrechts, der UN-Resolutionen. Die Sicherung des Existenzrechtes Israels und eines palästinensischen Staates in anerkannten Grenzen müssen ebenso Verhandlungsziel werden wie der Ausschluß von Terror und Gegenterror, die Lösung der Flüchtlingsprobleme und der Siedlungspolitik, das Ziel einer atomwaffenfreien Zone im Nahen Osten mit Sicherheitsgarantien für die Staaten unter Offenlegung und Kontrolle der atomaren Situation.

Die Staaten der EU sollten solche Verhandlungen der Verantwortlichen politisch und wirtschaftlich kraftvoll unterstützen - doch sie können solche Verhandlungen niemals ersetzen. Und sie sollten sich auch nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen, wenn die Verantwortlichen nicht willens sind, Verhandlungen untereinander ernsthaft zu beginnen und zu führen. Die USA müssen wieder jene Rolle als Vermittler im Nahen Osten übernehmen, die sie vor der leider einseitig festgelegten Bush-Regierung oft wahrgenommen haben. Und die USA sind zu ermutigen, die jüngsten Vorschläge von Ex-Präsident Bill Clinton umzusetzen: die Entwicklungshilfe massiv zu erhöhen, weil das billiger ist, als in den Krieg zu ziehen. Was hätte man mit den bisherigen 300 Milliarden Dollar für den Irak-Krieg alles im Nahen Osten aufbauen können!

 

Carl-Dieter Spranger (CSU), 67, war von 1991 bis 1998 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.


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