© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/06 15. September 2006

"Mischmasch von unbewiesenen Behauptungen"
USA II: Die Bush-Regierung kämpft auch im Internet gegen Verschwörungstheorien zum 11. September / Vergleich mit den "Protokollen der Weisen von Zion"
Alexander Griesbach

Fünf Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001, die den Ausgangspunkt für den "Antiterrorkrieg" bildeten, steht die US-Regierung einmal mehr im Zwielicht. Letzte Woche belegte der US-Senat in einem etwa 400seitigen Bericht, daß es für einen der Hauptgründe des Irak-Krieges, nämlich für die behauptete Verbindung zwischen Saddam Hussein und al-Qaida, keinerlei Indizien gebe.

Nicht zufällig dürfte wohl auch deshalb seitens der US-Regierung eine neue Internetseite ins Leben gerufen worden sein, von der man sich erhofft, wenigstens die Deutungshoheit über die Vorgänge am 11. September 2001 zurückzugewinnen, die ihr in den letzten Jahren mehr und mehr von Verschwörungstheorien streitig gemacht wurde. Diese Seite will mittels "korrigierender Informationen" die Kritiker der offiziellen Darstellung widerlegen. Dabei bleiben die Betreiber nicht bei den Ereignissen des 11. September stehen, sondern widmen sich auch anderen beliebten Themen von "conspiracy theories".

Der Bogen, der hier gespannt wird, reicht von den berüchtigten "Protokollen der Weisen von Zion" bis hin den Bekenntnissen des "economic hit man" Anthony Perkins, der behauptet, von dem US-Geheimdienst National Security Agency (NSA) als Berater mit dem Auftrag in ausländische Staaten geschickt worden zu sein, diese in eine Schuldenfalle zu treiben, um deren Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu steigern. Auch der "Plan Balboa", der eine US-Invasion Venezuelas zum Sturz von Präsident Hugo Chávez zum Inhalt haben soll, wird in das Reich der Phantasie verwiesen.

Hauptgegenstand der Internetseite ist aber der 11. September 2001 und die vielen Theorien, die sich um diesen Tag ranken. In dem Bestreben, "falschen Verschwörungstheorien" den Boden argumentativ zu entziehen, wird pars pro toto auf das im August 2005 unter dem Titel "9/11 revealed" erschienene Buch der beiden britischen Autoren Ian Henshall und Rowland Morgan Bezug genommen, das nach Meinung der Netzseiten-Betreiber den "Glauben an einen Mischmasch von finsteren, unbewiesenen Behauptungen" fortschreibe.

Einmal mehr wird in diesem Buch unter anderem behauptet, daß die Zwillingstürme des World Trade Centers (WTC) mit Sprengladungen und nicht durch die Einwirkung brennender Flugzeuge zum Einsturz gebracht worden seien. Bei der Widerlegung dieser und anderer Thesen wird vor allem auf die Untersuchungsergebnisse des U.S. National Institute for Standards and Technology (NIST) Bezug genommen, dessen Experten zu der Auffassung gelangten, daß das in Brand geratene Flugbenzin, das eine Temperatur von 1.000 Grad erreicht habe, ursächlich für den Einsturz tragender Teile der WTC-Türme verantwortlich war.

Ein anderes Thema ist der Anschlag auf das Pentagon. Hier kreisen die Vermutungen von Verschwörungstheoretikern darum, daß nicht eine Boeing 757 (Flug 77 von American Airlines) das Pentagon getroffen habe, sondern entweder ein Marschflugkörper oder, so die Version von Henshall und Morgan, eine "Boeing-757-Drohne" bzw. ein kleineres Flugzeug, das in den Farben von American Airlines lackiert gewesen sei. Hier setzt die Gegenargumentation mit dem Hinweis darauf ein, daß die 64 umgekommenen Bordinsassen dieses Fluges geborgen werden konnten und Spezialisten 184 der insgesamt 189 Opfer der Pentagon-Attacke identifizieren konnten. Die Beweise reichten nach Meinung der US-Regierung aus, um glaubhaft zu machen, daß Flug 77 das Pentagon getroffen habe und keine Drohne oder ein anderes Flugzeug.

Explizit angesprochen wird auch der "Insider-Börsenhandel" im Vorfeld des 11. September: Untersuchungen hätten ergeben, daß die getätigten Aktiengeschäfte in keinem Zusammenhang mit dem 11. September stünden. Ein einzelner, "in den USA ansässiger institutioneller Anleger", über den es keine Erkenntnisse hinsichtlich möglicher Beziehungen zu al-Qaida gebe, habe einen Großteil der "Put"-Optionen (spekulative Aktiengeschäfte) zwischen dem 6. und 10. September "als Teil einer Handelsstrategie" getätigt. Warum dann ein Teil der daraus resultierenden Gewinne nach dem 11. September nicht geltend gemacht worden ist, worauf etwa Mathias Bröckers in seinen Büchern hinweist, bleibt unbeantwortet.

Um Verschwörungstheorien besser identifizieren zu können, gibt die neue Internetseite ihren Besuchern eine Reihe von Hinweisen, die ihnen zu mehr Kritikfähigkeit verhelfen sollen. In diesem Zusammenhang möge man sich folgende Fragen stellen: Können in einem Bericht die typischen Muster einer Verschwörungstheorie identifiziert werden? Finden sich typische Merkmale einer "urban legend"? ("Urban legends" zirkulieren per E-Post, von Mund zu Mund oder im Internet und basieren auf falschen Behauptungen, klingen dessenungeachtet aber im weitesten Sinne glaubwürdig; sie arbeiten überdies mit "großen Emotionen").

Weiter sollen aus Sicht der Seiten-Betreiber folgende Fragen nützlich sein: Enthält ein Bericht eine schockierende Enthüllung? Sind die genannten Quellen glaubwürdig? Zu welchen Ergebnissen kommen andere Recherchen zum Thema?

Daß derartige Hinweise Verschwörungstheoretiker beeindrucken könnten, steht indes nicht zu erwarten. Sie verweisen darauf, daß die NIST-Erkenntnisse von Regierungswissenschaftlern stammten, deren Vorgesetzte von US-Präsident Bush ernannt worden seien.

 

"Offizielle" Intenetseiten zum 11. September:

Die US-Regierungsseite: http://usinfo.state.gov/media/misinformation.html 

Bericht des US-Senats: http://intelligence.senate.gov/phaseiiaccuracy.pdf  

Textesammlung des "Spiegel": www.spiegel.de/spiegelspecial/0,1518,435547,00.html 

"Inoffizielle" Seiten zum 11. September:

www.broeckers.com 

www.gerhard-wisnewski.de 

www.medienanalyse-international.de 


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