© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Museumsreife Technik
Energiepolitik: Eine Renaissance der Atomkraft kann die Energieprobleme der Zukunft nicht lösen
Manfred Kölsch

Das Ende der konventionellen Erdöl- und Erdgasreserven ist trotz neuentdeckter Lagerstätten und Fördertechnologien absehbar. Die weltpolitischen, zum Teil kriegerischen Auseinandersetzungen um die Restreserven sind schon in vollem Gang. Die Preise steigen, der jetzige Fall des Ölpreises (pro Barrel/159 Liter) unter die 65-Dollar-Schwelle wird angesichts der wachsenden Nachfrage aus China und Indien nur von kurzer Dauer sein.

Die möglichen Klimaveränderungen wegen des Verbrennens fossiler Energieträger sind dramatisch. Die umfassende Umstellung auf erneuerbare und alternative Energien (Wind, Sonne, Erdwärme, Biomasse) ist nur möglich, wenn es zu einer spürbaren Minderung des Verbrauchs sowie einer enormen Effizienzsteigerung bei der Energieumwandlung und -nutzung kommt.

Daher wittern die Befürworter der Atomenergie Morgenluft - trotz der Schreckenserfahrung der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 (JF 17/06) und der jüngsten AKW-Störfälle in Forsmark (Schweden), Brunsbüttel (bei Hamburg) oder Kjeller nordöstlich von Oslo. Im August starteten mehrere unionsregierte Bundesländer eine Initiative für einen Ausstieg aus dem Atomausstieg, denn die energiepolitischen Rahmenbedingungen hätten sich seit der Vereinbarung im Jahr 2000 "deutlich verändert".

Uranvorkommen reichen maximal noch 60 Jahre

In der JF 24/06 schrieb etwa Christian Bartsch: "Wenn man die Atmosphäre vom überhöhten Eintrag von CO2 befreien will, gibt es ein einfaches Mittel, ... nämlich die Nutzung der Kernenergie für die Stromerzeugung." Weil in Deutschland der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie gesetzlich vorgesehen sei, ernteten jetzt ausländische Unternehmen die "Früchte deutschen Forschergeistes". Er empfiehlt den Hochtemperaturreaktor (HTR) und vergißt darauf aufmerksam zu machen, daß dessen ursprüngliche Baukosten von 690 Millionen auf letztlich über vier Milliarden Mark angestiegen sind. Die Hauptverantwortung trug der Staat, der keine nennenswerte Eigenbeteiligung der Industrie durchgesetzt und damit zum verantwortungslosen Umgang mit den Milliarden an Subventionen eingeladen hatte. Nach drei Jahren Betrieb wurde der HTR 1989 abgeschaltet.

Auch wird "übersehen", daß die Ausbaugrenzen der Kernenergie eng sind. Die derzeit bekannten Uranvorkommen reichen maximal noch 60 Jahre - bei einer Verdoppelung der Atomanlagen halbiert sich der Verfügbarkeitszeitraum. Die Schnelle-Brüter-Technologie, die die Uranvorkommen deutlich strecken könnte, hat sich als Sicherheitsrisiko und wirtschaftliches Fiasko erwiesen.

Die derzeitige Atomenergienutzung ist das Ergebnis einer gigantischen politischen Subventions- und Privilegierungsmaschine. Für Atomforschung und Entwicklung spendierten die OECD-Regierungen bis 1992 308 Milliarden Dollar, für erneuerbare Energien in demselben Zeitraum lediglich 22 Milliarden. Die EU-Atomförderung ist dabei nicht mitberücksichtigt, die französischen Zahlen sind bis heute geheim. Einschließlich diverser Markeinführungshilfen und der Ausgaben Rußlands wird die gesamte Staatsförderung für die Atomenergie auf mindestens eine Billion Dollar geschätzt.

Zudem werden bei der Atomenergienutzung die Gewinne privatisiert und die Kosten auf den Steuerzahler umgelegt. Milliarden wurden in den Sand gesetzt für das AKW Mühlheim-Kärlich, den Schnellen Brüter in Kalkar und das nicht gebaute Atommülllager Wackersdorf. Für die Erkundung des "Endlagers" Gorleben sind bisher angeblich 1,4 Milliarden Euro ausgegeben worden. Alle diese Kosten werden in den Preis für Atomstrom nicht eingerechnet. Dasselbe gilt für die durch Abriß von Kernkraftwerken und die Endlagerung des Atommülls anfallenden Kosten.

Der konkurrenzfähige Preis von Atomstrom ist auch durch das sogenannte Haftungsprivileg der Energieversorger mit erkauft. Würde sich eine Tschernobyl vergleichbar Katastrophe in Deutschland ereignen, könnten die möglichen Kosten nach Berechnungen des Schweizer Prognos Instituts bei bis zu 5,49 Billionen Euro liegen. Gesetzlich vorgeschrieben ist nur eine Haftpflichtversicherung deutscher AKWs in Höhe von 2,5 Milliarden Euro - einem Bruchteil der möglichen Schadenssumme. Sollte sich überhaupt ein Versicherungsunternehmen finden, das bereit ist, das volle Risiko abzudekken, dann würde sich der Strompreis nach Berechnungen des Wuppertal Instituts um 21,5 bis 50 Cent verteuern.

Die Rückstellungen für den in Zukunft erforderlichen Abriß (Rückbau) der Atomkraftwerke bringen den vier deutschen Atomkraftwerksbetreibern hohe Gewinne. Davon stehen zur Zeit bei ihnen 29 Milliarden Euro in den Büchern. Die Rückstellungen dürfen mit Gewinnen verrechnet werden und lassen so die Steuerlast sinken. Dadurch entgehen dem Staat jährlich bis zu 800 Millionen Euro an Steuereinnahmen. Da die Gelder erst nach vielen Jahren benötigt werden, werden sie in der Zwischenzeit gewinnbringend angelegt oder zur Finanzierung von Zukäufen verwendet. Richtig lukrativ wird das Geschäft mit den Rückstellungen erst, wenn sich die AKW nach 20 Jahren amortisiert haben und noch Laufzeitenverlängerungen durchgesetzt werden könnten.

Tausende Tonnen hochradioaktiven Mülls

Der enorme Wasserbedarf für Dampfprozesse und Kühlung kollidiert mit sich weltweit ausbreitenden Wassernotständen. Die Gefahr des Atomterrorismus, nicht nur wegen der gegen Flugkörper-attacken nicht geschützten Reaktoren, wird verschwiegen. Letztlich gehört zu den offenen Rechnungen der Atomwirtschaft die Entsorgung radioaktiven Mülls. Ende Juni 2003 waren in 33 Ländern weltweit 439 Atomkraftwerke in Betrieb. Die Meiler produzieren Zehntausende Tonnen hoch radioaktiven Mülls. Für diese tausendjährige Hinterlassenschaft ist nirgends ein Endlager in Sicht. Die Kosten für diese Endlagerung werden vollständig ausgeblendet.

Deutsche Firmen und Forscher gehören bei den erneuerbaren Energien zur Weltspitze - auch bei den Energiespeichertechniken, mit denen die Dauerbarriere unregelmäßiger Wind- und Solarstromangebote aus dem Weg geräumt werden könnte (JF 38/06). Bei den erneuerbaren Energien ist eine technologisch-wirtschaftliche Verbesserung leichter zu realisieren als bei der Atomtechnik. Auch die Kostenfrage entscheidet sich - bei Berücksichtigung externer Kosten und der Preissteigerungen fossiler Energieträger - schon heute zugun-sten der erneuerbaren Energien.

Foto: Atommüllzwischenlager des AKW Brunsbüttel: Gewinne privatisiert, Kosten zahlt der Steuerzahler


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