© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Preußische Zucht
DVD: "Mädchen in Uniform"
Martin Lichtmesz

Einen der interessantesten deutschen Filmklassiker gibt es gleich zweimal: "Mädchen in Uniform" nach einem Stoff von Christa Winsloe wurde 1931 von Leontine Sagan und Carl Froelich und 1958 von Geza von Radvanyi verfilmt.

1910 kommt die sechzehnjährige Manuela von Meinhardis nach dem Tod ihrer Mutter in ein Internat für adelige Töchter in Potsdam, das von der Direktorin im strengen, preußischen Stil regiert wird. Manuelas schwärmerische Gefühle für die junge Lehrerin Fräulein von Bernburg steigern sich bis zur ungebremsten Verliebtheit. Es kommt zum öffentlichen Eklat. Schließlich versucht Manuela sich das Leben zu nehmen.

Vor allem die erste Fassung von "Mädchen in Uniform" gilt als Kultfilm der feministischen wie der schwul-lesbischen Bewegung. Das Thema war in der Tat sowohl für 1931 als auch für 1958 äußerst gewagt. Die 31er Version endete mit einem pathetischen Appell für mehr Menschlichkeit und Toleranz. Wer wollte, konnte eine scharfe Verurteilung des preußischen Erziehungssystems aus dem Film herauslesen.

Indessen war es mit seiner "linken" Agenda nicht weit her. Bereits Siegfried Kracauer monierte, daß "Mädchen in Uniform", den "Geist von Potsdam" nicht exorzieren, sondern lediglich humanisieren wollte. Fräulein von Bernburg habe gegen die Tradition im Prinzip nichts einzuwenden, eine "neue Ordnung" einzuführen läge ihr fern. Nichtsdestotrotz blieb der "linke" Ruf des Films bestehen, so daß etwa Ulrich Gregor auf die Neuverfilmung geradezu gereizt reagierte. In Farbe und mit größerer zeitlicher Entfernung zum wilheminischen Potsdam versank etwaige antipreußische Kritik endgültig in der Watte des Kostümfilms.

In der Folge wurde das Remake in der Literatur auch geringer geschätzt als das Original. Ein Urteil, das beim Wiedersehen revidiert werden muß: Tatsächlich ist die Fassung mit Romy Schneider als Manuela und Lilli Palmer als Fräulein von Bernburg die weitaus überlegene. Nicht nur sind die schauspielerischen Leistungen atemberaubend, die holprige Dramaturgie des alten Films wurde vorzüglich umgearbeitet. Unterdrückte Erotik ist immer ein dankbares filmisches Thema. Der Kontrast zwischen der preußischen Zucht und Manuelas brodelnden Gefühlen schafft eine zum Zerreißen gespannte Stimmung, die man einem deutschen Film der notorisch braven fünfziger Jahre kaum zugetraut hätte.

Bei Kinovorführungen des Films sieht man heute oft lesbische Paare, die laut kichern, wenn die uniformierten Mädchen Händchen halten und sich umarmen. Dank der Schubladen "lesbisch" und "schwul" ist jegliches Gespür für eine nicht unbedingt mit dem Sexus verbundene Erotik verlorengegangen, wie sie noch der Preuße Hans Blüher, der mit Christa Winsloe gleichaltrig war, etwa im Wandervogel wirken sah. "Mädchen in Uniform" hält diese Spannung auf subtile und überzeugende Weise.

Die DVD mit Romy Schneider ist in jedem gutsortierten Videoladen erhältlich, die ebenfalls sehenswerte alte Version bislang leider nur als Import vom British Film Institute. Beide Fassungen hintereinander zu sehen, ist eine faszinierende Lehrstunde in Sachen Filmkunst.


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