© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/06 22. September 2006

Kritiker ohne Gnade
Dichter über Dichter
Werner Olles

Daß Kollegen sich untereinander nicht besonders grün sind und dann auch in aller Öffentlichkeit übereinander herziehen ist nicht ungewöhnlich. Daß aber auch berühmte Schriftsteller solche Art "Kollegenschelte" mit geradezu inniger Verve pflegen, ist für manche Leser dann doch einigermaßen überraschend, hatte man sich bis dahin vielleicht der allzu trügerischen Hoffnung hingegeben, im speziellen Falle der Dichter und Denker herrsche möglichwerweise zumindest so etwas wie Standessolidarität. Das ist jedoch ganz und gar nicht der Fall, wie uns das von Jörg Drews herausgegebene und mit einem Nachwort versehene Bändchen "Dichter beschimpfen Dichter. Ein Alphabet harter Urteile" recht drastisch vor Augen führt.

So lesen wir beispielsweise in Eckhard Henscheids Verdikt über Ingeborg Bachmann: "Schon komisch, daß ein berühmter Erzählerwettbewerb nach der genannt wurde, die am wenigsten erzählen konnte; die letztlich auch nichts zu erzählen hatte." H. C. Artmann macht es noch kürzer: "Die Bachmann is a arrogante Gurkn." Auch Heinrich Böll muß dran glauben: "Der Böll als Typ war wirklich Klasse. / da stimmten Gesinnung und Kasse. / Er wär' überhaupt erste Sahne, / wären da nicht die Romane." Besondere Freude schien Lästermaul Henscheid am Werk Uwe Johnsons gehabt zu haben: "Wer es auf sich genommen hat, die fast 2.000 Seiten 'Jahrestage' zu Ende zu lesen, der hat auch das Recht, seine Eindrücke in einem Wort zusammenzufassen: Schnüß. Und in drei: Ein verblendeter Unfug."

Und Henscheid wurde im Frühjahr 1993 gar gerichtlich verboten, noch einmal darauf hinzuweisen, "was für ein steindummer, kenntnisloser und talentfreier Autor schon der junge Böll war, vom alten fast zu schweigen". Adorno und Horkheimer nannten Rudolf Borchardt den "Esoteriker der deutschen Schwerindustrie", Gerhard Szczesny schimpfte Bertolt Brecht "eine Art Stefan George im Drillich", für Tennessee Williams war Truman Capote "eine entzükkend lasterhaft alte Dame", und Turgenjew sah in Dostojewskij den "Pickel auf der Nase der russischen Literatur".

Jörg Drews (Hrsg.): Dichter beschimpfen Dichter. Die endgültige Sammlung literarischer Kollegenschelten. Hafmanns Verlag bei Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2006, 269 Seiten, broschiert, Abbildungen, 9,90 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen