© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

CD: Rock
Kräftemessen
Michael Insel

Wenn eine Plattenfirma zwei Schwergewichtler der Disziplin Melodic Rock gleichzeitig in die Arena der Medienaufmerksamkeit schickt, muß es hart auf hart gehen. Frontiers Records aus Neapel brachte letzte Woche Neuerscheinungen des britischen Gitarristen Mike Slamer sowie des aus New Jersey stammenden Sängers Joe Lynn Turner am selben Tag auf den Markt und fordert damit ein Kräftemessen geradezu heraus.

Beide Musiker sind Urgesteine dieses unbürgerlichen Broterwerbs, und wie in dieser Zunft üblich gleichen ihre Lebenswege eher einem "Bäumchen, wechsel dich"-Spiel: Turners begann Mitte der Siebziger als Frontmann der R&B-inspirierten Band Fandango. Etwa zur selben Zeit sammelte Slamer erste Bühnenerfahrung in der Poprock-Gruppe City Boy, die es immerhin auf zwei Top-Ten-Hits in den britischen Charts brachte (darunter der seinerzeitige Ohrwurm "5-7-0-5"). Als City Boy sich 1981 auflöste, ging Slamer zurück in die USA und gründete gemeinsam mit dem Ex-Sänger der Hit-Band Kansas die Streets. Indes fand Turner bei Ritchie Blackmores Rainbow sein Auskommen. Und immer so weiter. Im Laufe der Jahre stand Turner unter anderem für Deep Purple (auf ihrem Album "Slaves and Masters"), Billy Joel, John Waite und zuletzt mit dem früheren Purple-Baßgitarristen Glenn Hughes beim Hughes Turner Project am Mikrophon, während Slamer Zwischenstationen bei Steelhouse Lane und Seventh Key einlegte.

"Sunstorm", der Nachfolger von Turners neuntem Solo-Album "The Usual Suspect" im vergangenen Jahr, ist das Werk eines gleichnamigen Projekts (nicht zu verwechseln mit der kalifornischen Rockband aus den 1990ern), für das die Firma Frontiers Dennis Ward von den Prog-Rockern Pink Cream 69 als Produzenten ins Studio holte, um Stücke aufzunehmen, die Turner nach dem Erscheinen von "Rescue You" (1985) für sein nie veröffentlichtes zweites Album bei Elektra schrieb. Kein Wunder also, daß der kraftvolle Opener "Keep Tonight" mit seinen aufdringlichen Hooks den Hörer mir nichts, dir nichts in jene unbeschwerten Tage zurückversetzt, als Survivor mit "Eye of the Tiger" unbestrittene Herrscher über den Äther waren. Tatsächlich stammt "Another You", eine gefühlvolle Ballade mit wunderbar bluesigem Gesang, aus der Feder von Ex-Survivor Jim Peterik.

Sinn eines derartigen Unterfangens kann freilich nur sein, diesen zwanzig Jahre alten Stücken einen frischen Klang zu verpassen, der sie noch heute hörenswert machte. Das gelingt Ward und Turner nur in Ansätzen - etwa die Hälfte der Nummern bleibt dem Geist der Achtziger treu. So geht der Sieg nach Punkten in diesem Zweikampf der Veteranen an Slamers härteres, innovativeres Debüt "Nowhere Land".

Mit Terry Brock (ehemals Sänger bei Strangeways and the Sign), Chet Wynd am Schlagzeug und seinem einstigen Streets-Kollegen Billy Greer als Backing-Sänger hat Slamer viel Kompetenz in seiner Ecke. Herausgekommen ist ein dichter Sound, der zeitgenössischen Melodic Rock gekonnt mit flottem Pop-Metal verschmilzt. Das Titelstück etwa mit seinem allmählich anschwellenden Intro ergibt ein düster-futuristisches Klanggemälde, während sein Text sich mit nicht minder unheilvollen Themen befaßt - Umweltkatastrophen und der Erosion der bürgerlichen Freiheiten.

Ein ähnlich apokalyptisches Szenario bietet "End of Days", und in "Beyond the Pale" verschafft sich der Weltschmerz melodisch Gehör in geradezu gregorianisch anmutendem Sprechgesang, atmosphärischem Keyboard und subtiler Gitarren-Phrasierung. Doch zum Glück verbreitet die Scheibe nicht durchweg nur Trübsinn und Weltuntergangsstimmung, sondern mit Rockern wie "Not in Love" oder "Higher Ground" auch jede Menge gute Laune.


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