© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

Ackergauls Bruder
Politische Zeichenlehre VI: Das Pferd
Karlheinz Weissmann

Nach mehr als achtundzwanzig Jahren der Herrschaft von Präsident Saleh wird es jetzt eine Alternative für die Bevölkerung des Jemen geben. Die regierende Partei Allgemeiner Volkskongreß sieht sich durch Bin Shamlans Islah herausgefordert, der bei den Wahlen ein respektables Ergebnis zugetraut wird. Die Stammesgesellschaft des Jemen ist im übrigen noch sehr weit von einer modernen parlamentarischen Demokratie entfernt, was sich auch in der Art des Wahlkampfes widerspiegelt. Wegen der Analphabetenquote von 50 Prozent spielen für die Propaganda vor allem visuelle Symbole eine Rolle. Die Islah tritt dabei mit einer weißen Sonne an, der Volkskongreß mit einem Pferd.

Das Pferd hat als politisches Symbol in den letzten Jahren eine überraschende Karriere gemacht. Mehrere Staaten, die aus dem Zerfall der Sowjetunion hervorgegangen sind, Turkmenistan und Tadschikistan zum Beispiel, haben es in ihre Wappen aufgenommen, und in der Türkei verwendet die Partei des rechten Weges seit 1992 ein weißes Pferd auf rotem Feld. Gemeinsam ist Tadschiken, Turkmenen, Türken und Jemeniten die nomadische Herkunft, die das Pferd regelmäßig als positiv besetztes Zeichen erscheinen läßt. Noch im 20. Jahrhundert äußerte eine Zigeunerhexe aus Südfrankreich: "Merke dir, daß uns Zigeunern das Pferd heilig ist und wir sein Fleisch niemals essen dürfen, denn es ist uns verboten. Unsere Stämme beurteilen andere Menschen sogar nach dem Verhalten zum Pferde."

Neben seiner Funktion als Zug-, Reit- und Kriegstier hat das Pferd aber auch sonst häufig eine symbolische Bedeutung, oft verbunden mit religiöser Verehrung. Im eurasischen Raum gibt es Belege für einen Pferdekult seit der Bronzezeit. Heiligen Pferden und dem Pferdeopfer kam lange Zeit besondere Bedeutung zu.

Die Skythen haben ihren Toten nicht nur Pferde mit ins Grab gegeben, sondern sie auch mit Geweihen in Hirsche verwandelt; die Griechen kannten Pferde mit Flügeln oder Fischunterleib als Begleiter der Götter; der achtbeinige Sleipnir des germanischen Odin war ursprünglich wohl nicht Begleiter, sondern Manifestation des Gottes. Manche Historiker glauben, daß noch die legendären Häuptlinge der Angelsachsen - Hengist (vgl. "Hengst") und Horsa (vgl. engl. "Horse" für "Pferd") - keine Individual-, sondern Totemnamen trugen.

Vielleicht erklärt der Rang, den das Pferd im Heidentum einnahm, sein Zurücktreten als Symbol nach der Christianisierung. Auffällig ist jedenfalls, daß Pferde trotz der Bedeutung für die Kriegführung des Mittelalters und das Selbstbewußtsein seines Reiteradels kaum als Zeichen in der Heraldik auftraten.

Im Grunde gibt es von dieser Regel nur eine Ausnahme: das "Sachsenroß". Es handelt sich dabei um die Darstellung eines weißen - ursprünglich laufenden, dann springenden - Pferdes, das bereits in einem Wappenbuch des 14. Jahrhunderts als altes Stammeszeichen der Sachsen erwähnt wird. Dementsprechend hat sich eine Legende erhalten, der zufolge der sächsische Herzog Widukind nach seiner Unterwerfung unter Karl den Großen und der Taufe sein bisheriges schwarzes durch ein weißes Pferd im Wappen ersetzt haben soll. Eine solche Kontinuität ist allerdings unwahrscheinlich.

Erst seit dem späten Mittelalter läßt sich eine Pferdedarstellung im Siegel, dann in der Helmzier der Welfen nachweisen - des Geschlechts, das das altsächsische, später als "niedersächsisch" bezeichnete Gebiet beherrschte -, und erst 1692 wurde es in den Schild mit rotem Grund gestellt, entwickelte sich dann aber rasch zum Symbol des welfischen Besitzes überhaupt. Aus diesem Grund führte es das "Haus Hannover" nach seiner Thronbesteigung auch in Großbritannien.

Nach dem Ende des selbständigen Königreichs, vormals Kurfürstentums Hannover, das 1866 von Preußen annektiert wurde, hielten alle Nachfolgestaaten (die Provinz Hannover, aus der 1946 das Bundesland Niedersachsen hervorging, das noch 1913 gegründete Großherzogtum, später Provinz Braunschweig sowie die Provinz Westfalen, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Bundesland Nordrhein-Westfalen aufging) am weißen Pferd auf rotem Feld fest. Zum 60. Geburtstag Niedersachsens in diesem Jahr ließ die Landesregierung ein Logo entwerfen, das die Silhouette eines weißen Pferdes im vollen Lauf zeigt, - wenn man es auf der Seite der Landesregierung im Netz anklickt, setzt es sich sogar in Bewegung.


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