© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Staatsräson
Karl Heinzen

Muß i denn zum Städele hinaus?" seufzte die Militärkapelle in Wilhelmshaven, als acht Schiffe der Deutschen Marine gemeinsam mit drei dänischen im Namen der UN-Resolution 1701 in See stachen, um vor der libanesischen Küste zu patrouillieren. Ja, sie müssen, und trotz des eher mageren parlamentarischen Votums für das Mandat gab es bislang wohl keinen Einsatz der Bundeswehr, der von einem derartigen Enthusiasmus der Politik begleitet worden wäre. Hätte Angela Merkel nicht ständig so viele Termine, wäre sie womöglich mitgefahren, um höchstpersönlich von der Kommandobrücke der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern aus mit dafür zu sorgen, daß den Hisbollah-Banden und ihren iranisch-syrischen Drahtziehern endlich der Garaus gemacht wird.

Zahlreiche Grundgesetz-Kenner müssen so in diesen Tagen feststellen, daß es im Kernbestand unserer Verfassungsordnung offenbar Bereiche gab, die ihnen bis soeben verborgen geblieben waren. Was lange nur als ein Lippenbekenntnis aus Koalitionsverträgen galt, ist nämlich in Wahrheit Staatsräson: Das Existenzrecht Israels muß mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gesichert werden. Dieses Staatsziel resultiert nicht aus einer Schuld, denn von einer solchen könnte man annehmen, daß sie verjährt oder irgendwann einmal beglichen ist. Es handelt sich vielmehr um eine zeitlose Verpflichtung der Deutschen, fortan auf der moralisch richtigen Seite zu stehen.

Gegen dieses Verständnis von einer bundesrepublikanischen Sendung in der Welt gibt es prinzipiell nichts einzuwenden. Es stellt sich nur die Frage, ob alleine Israel Zuwendung verdient hat. Bekanntermaßen gibt es nicht wenige andere Nationen, denen im deutschen Namen Leid zugefügt wurde. So wäre es durchaus konsequent, auch dem Existenzrecht des polnischen Staates einen vergleichbaren Stellenwert einzuräumen. Da dessen Integrität im Unterschied zu Israel nicht von äußeren Feinden bedroht wird, wäre das Bemühen hier zuallererst auf die Stabilisierung der fragilen Innenpolitik zu richten, um zu verhindern, daß unser Nachbar erneut am Parteienstreit scheitert. Andere, ungefährdete und nicht selten auch besser situierte Partnerstaaten sollten wenigstens mit einer symbolischen Erklärung bedacht werden, daß man sich ihres Existenzrechtes annimmt. Zurückhaltung ist den Deutschen nur aufgegeben, wo es um vermeintliche Eigeninteressen geht. Wer von einem Existenzrecht der Bundesrepublik spricht, zieht nämlich eine sehr fragwürdige Lehre aus der Geschichte.


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