© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/06 29. September 2006

Einer Hauptstadt den Weg geebnet
Nirgends war Architektur selbstbewußter als bei der Ost-Berliner Zentrumsplanung mit allen Symbolen von Agitation und Repräsentation
Eberhard Straub

Der Aufschwung der hellenischen Kunst zu ihrer erhabensten Höhe war, wie Gottfried Semper meinte, das hohe Resultat einer politisch-sozialen Revolution, die, mit Rückgriffen auf älteste Überlieferungen, im Dorismus ihre monumentale Rechtfertigung suchte und fand. "Die Geschichte beweist durch eine Menge von Beispielen, daß die Begründer eines neuen politisch-sozialen Prinzips stets darauf bedacht waren, diesem einen planmäßig durchdachten architektonischen Ausdruck zu geben." Insofern muß es gar nicht überraschen, wenn die SED und der erste Arbeiter- und Bauernstaat in Deutschland seit 1949 nach einem sozialistischen Stil suchten, sich auf "Symbolsuche" begaben, wie der Obertitel von Peter Müllers Studie zur "Ost-Berliner Zentrumsplanung zwischen Repräsentation und Agitation" lautet.

Da der Sozialismus die verfallende bürgerlich kapitalistische Gesellschaft bekämpfte, mußte er sich in seiner formalen Erscheinung von deren "dekadenten" ästhetischen Stilbemühungen unterscheiden. Anderenteils hatten Marx und Engels immer darauf hingewiesen, daß der Sozialismus aus der bürgerlichen Welt kommt und sie vollendet, indem er sie überwindet. Jedes andere Verhalten wäre unhistorisch, utopisch und damit vergeblich.

Der Sozialismus in "schöner Gestalt" kann daher auf bewährte Formen zurückgreifen, um sie mit neuem Sinn zu erfüllen und ihnen eine ungewohnte, eindrucksvolle Bedeutung zu verleihen. Darin liegt keine Verweigerung der Moderne, wie der 1967 geborene Kunsthistoriker Müller suggerieren möchte. So verhielten sich schon die französischen Revolutionäre, vor allem die Jakobiner, um für ihre Ideen einen angemessenen Ausdruck zu finden. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als auf die Überlieferungen sakraler und monarchischer Repräsentation zurückzugreifen und sie für ihre Bedürfnisse umzudeuten.

Darin äußerte sich durchaus ihre Modernität. Zur Moderne gehört es, nach einem demokratischen Repräsentationsstil zu suchen. Der Sozialismus ist eine unbedingt moderne Bewegung, die sich als ästhetischer Sozialismus gegen die ganz modernen Tendenzen im reifen Kapitalismus wehrte, auch das Schöne zur Ware zu machen, zum Konsumartikel einer Unterhaltungsindustrie oder zur bloßen Dekoration, zum "Design". Ob Pierre-Joseph Proudhon, Richard Wagner, Gottfried Semper, John Ruskin, William Morris oder Karl Marx und Friedrich Engels - sie alle witterten im Kapitalismus die Gewalt, die gerade ernste und wahre Kunst als Offenbarung der Freiheit vom Markt verdrängen wollte, weil unvereinbar mit dessen Absichten, den entfremdeten Menschen als Verbraucher ganz von sich abzulenken, damit er im vollendeten Konsumenten in neuer Gestalt wiedergeboren würde. Der Sozialismus kämpfte auch gegen die ganz neue, sich möglichst alles unterordnende Kulturindustrie und ihren Kulturbetrieb.

Er ist von vornherein eine Kritik der bürgerlichen Moderne, des Zeitgeistes und der Zeitverfallenheit einer Bourgeoisie, die geschäftstüchtig alles nach seinem verwertbaren Nutzen beurteilt. Die Antimoderne gehört unmittelbar zur Moderne. Der Sozialismus wußte ja mit Gottfried Semper, daß unzulängliche gesellschaftliche Verhältnisse die Ursache für eine unzulängliche Kunst und Architektur sind. Ändern sich die sozialen Bedingungen des Zusammenlebens und der Produktion, dann ermöglicht diese Erneuerung der gesamten Gesellschaft auch eine Wiedergeburt der Kunst als Ausdruck des neuen Menschen, der sich aus seiner Entfremdung befreite.

Was Peter Müller abschätzig "Machtarchitektur" nennt, meint zuerst einmal nach dem Verständnis der SED, in einem groß angelegten Werk die siegreichen Ideen des Sozialismus zu veranschaulichen und mit ihm werbend auf alle Deutsche zu wirken. Die monumentale Idee des Kapitalismus ist das Bürohochhaus. Das große Werk, ein zentraler Bau mitten in Berlin, sollte zwar ein Hochhaus sein, aber zugleich ein Monument, bedeutungsbeladen, das den Traditionen des Freiheitskampfes der deutschen Arbeiterklasse würdig wäre.

Da begannen die Schwierigkeiten, die Peter Müller gründlich erläutert: Schwierigkeiten, die schon Gottfried Semper kannte, weil die alten Formen nicht völlig erschöpft und neue sich weder als überzeugend noch lebensfähig zeigten. Die Architekten im Sozialismus konnten sich nicht von Möglichkeiten gänzlich frei halten, die ihre Zeitgenossen "im Westen" suchten. Zugleich wollten sie sich nicht von alten Floskeln lösen, weil sie nur mit ihnen als Pathosformeln zu einem großen Repräsentationsstil finden konnten, der sich nicht mit den lockeren Beziehungen vereinzelter Gebäude in "kommunikativer Repräsentation" begnügte, sondern nach einem systematisierten und rationalisierten Stadtbild wie etwa Karlsruhe im achtzehnten Jahrhundert strebte.

Von der Stalinallee über den Alexanderplatz zum zentralen Monument auf dem Marx-Engels-Forum bis zu der bereits etablierten Prachtallee Unter den Linden sollte ein neues, vernünftig gegliedertes Berlin entstehen, das auf die große, nationale Vergangenheit und von der schönen Gegenwart aus auf eine schönere Zukunft im nicht mehr fernen Kommunismus verweist. Der Sozialismus sollte mit nationalen Formen dennoch internationale und menschheitliche Ideen veranschaulichen, die dermaleinst alle lokale Variationen aufheben und versöhnen. In dem großen zentralen Turm mit Unter- und Nebenbauten, auf den die ganze Stadt ausgerichtet war, sollten Parlament und Regierung und Festsäle ihren Platz finden, mit ihm verbunden oder in seiner Nähe ein Marx-Engels-Denkmal, vielleicht zum Altar erhöht mit den Leichen der beiden Stifter und ihren wichtigsten Werken als Reliquien, wie es in der Kirche geschieht.

Geldmangel, Wirtschaftskrisen, aber auch ununterbrochene Veränderungen des Konzeptes, weil sich die wechselnden Vorstellungen eines sozialistischen Repräsentationsstiles kaum miteinander vereinbaren ließen, führten nur zu Teillösungen, manche davon äußerst respektabel. Zuletzt verfiel man auf den Gedanken, sich mit dem Fernsehturm und seinem stilisierten Sputnik auf den technisch-wissenschaftlichen Charakter des Sozialismus zu berufen, der aufklärt, erhellt und den Völkern die Signale gibt, die sie zur Freiheit rufen. Auf ihn ausgerichtet wurde der Palast der Republik, in der sich Goethes Hoffnung als verwirklicht bestätigen sollte, daß in herrlichem Gewimmel ein freies Volk auf freiem Grunde sich selbst begegnet und sich aneinander begeistert.

Diese Ideen hatten immer weniger mit der Wirklichkeit tun, und Peter Müller verwirft deshalb auch deren ästhetischen Ausdruck insgesamt. Dennoch läßt sich die Stadtmitte der ehemaligen Hauptstadt der DDR mittlerweile auch geduldiger betrachten. Denn immerhin: Die Stalinallee, 1961 zur Karl-Marx-Allee umgewidmet, ist der letzte große - und gelungene - Versuch eines Boulevards in Europa, und ihre Verknüpfung mit der Weberwiese, dem Alexanderplatz, hinüber zum Fernsehturm, Marx-Engels-Forum und dem Nikolaiviertel ist doch ein großer städtischer Zusammenhang, eine würdige, wiedergewonnene Mitte Berlins.

Mögen die Ideen, die sie ermöglicht haben, verblaßt sein, so überlebt doch deren anschauliches Resultat als schöne Gestalt. Das sollte in Zeiten eines beliebigen Ästhetizismus, dem alles zum schönen Erlebnis werden kann, doch ausreichen, um sich daran erfreuen zu können. West-Berlin hatte vier Jahrzehnte auch architektonisch vor sich hingewurstelt und versucht, es sich im Urstromtal gemütlich zu machen. Die DDR dachte stets an eine Hauptstadt und ebnete damit der heutigen Hauptstadt der Berliner Republik den Weg.

Peter Müller: Symbolsuche. Die Ost-Berliner Zentrumsplanung zwischen Repräsentation und Agitation. Gebr. Mann Verlag, Berlin 2005, gebunden, 344 Seiten, Abbildungen, 58 Euro

Fotos: Blick auf den Fernsehturm vom Palast der Republik: Völkern die Signale geben, die zur Freiheit rufen, Konzeption des Marx-Engels-Forum, Gerhard Kosel 1959: Inmitten der zu Seen verbreiterten Spree das monumentale Zentralgebäude der kommunistischen Partei - der Dom als Konterpart zum Rathaus


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