© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Die einsame Kanzlerin
Union: Unter den Ministerpräsidenten der Länder formiert sich parteiinterner Widerstand gegen den Führungsstil Angela Merkels / Klarer Frontverlauf
Paul Rosen

Rechtzeitig vor dem Parteitag Ende November kann die CDU-Führung mit einem kleinen Erfolg aufwarten. Wenn bei den Koalitionsverhandlungen alles gutgeht, nehmen Unionspolitiker bald auf Ministersesseln in Schwerin Platz, weil die SPD in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr mit der Linkspartei regieren möchte.

Die neue Regierungsbeteiligung im deutschen Nordosten überdeckt jedoch kaum das Dilemma, in dem die Partei steckt. Die Große Koalition im Bund wird zunehmend als Belastung empfunden, Kanzlerin und Parteichefin Angela Merkel will einfach nicht zur erhofften Lichtgestalt werden. Ihr Scheitern sehen einige nahe, andere erst im übernächsten Jahr.

Die Gesundheitsreform wird immer mehr zum Zankapfel, nicht nur zwischen Union und SPD, sondern besonders in den Unionsparteien selbst. Nord-rhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU), seit dem Sommer durch die "Lebenslügen"-Debatte zu Merkels größtem innerparteilichen Gegner avanciert, stellt die bisher verhandelten Eckpunkte der Reform in Frage: "Bei der Debatte über die Gesundheitsreform fehlt mir die grundsätzliche Klärung, welches System wir überhaupt wollen. Noch weiß da keiner, wo es hinlaufen soll."

Rüttgers' Bewertung des Reformpakets, das im kommenden Jahr in Kraft treten soll, läuft auf ein Todesurteil hinaus. Und der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) soll in kleinem Kreis gesagt haben, die große Reform werde es nicht mehr geben, allenfalls einige kleinere Projekte. Merkel mußte inzwischen zugeben, es sei der Eindruck entstanden, "daß es etwas durcheinandergeht".

Was Merkel als Durcheinander empfindet, sehen besonders CDU- und CSU-Politiker in den Ländern dagegen als klaren Frontverlauf. In Berlin versucht die nach wie vor neoliberal-modernistisch agierende Partei- und Fraktionsführung, die Deutschen mit einer Einheitskrankenversicherung zu beglücken. Der "Gesundheitsfonds" ist beileibe keine Erfindung der SPD, sondern eine Ausgeburt des Leipziger CDU-Parteitages, auf dem man - sozusagen auf historischem Boden - die aus der DDR bekannte Zentralverwaltungswirtschaft wieder aufleben lassen wollte. Einheitsbeiträge, Staatszuschüsse und als letztes Wettbewerbselement ein kleiner Zusatzbeitrag sind die Kernpunkt der Reform. Scheitern muß das Projekt, weil das deutsche Gesundheitssystem sich nicht über eine neue Struktur der Einnahmeseite reformieren läßt. Das System hat ein Ausgabenproblem, und da wird kaum gegengesteuert.

Fehlendes Verständnis für die Belange der Länder

Die Ministerpräsidenten der Union schieben sachliche Gründe gegen die Reform vor. In Wirklichkeit wollen sie Merkel zunächst schwächen und später loswerden. Im Karriereverlauf der CDU-Chefin fehlt das Ministerpräsidenten-Amt, das zum Beispiel Helmut Kohl innehatte. Ihr fehlt daher auch Verständnis für die Länder-Belange. Rüttgers, Oettinger, Bayern-Chef Edmund Stoiber, der Niedersachse Christian Wulff und der Hesse Roland Koch, aber auch Ost-Ministerpräsidenten wie Dieter Althaus (Thüringen) und Georg Milbradt (Sachsen) empfinden Merkel als Außenseiterin ohne den typischen Stallgeruch des Bundesrates. Diese Herren trauen der Kanzlerin nicht.

Daß daraus ein Mißtrauensvotum auf dem Parteitag Ende November folgt, wo sich Merkel und die gesamte Führungsriege zur Wiederwahl stellen müssen, ist unwahrscheinlich. Noch ist die Zeit für einen Putsch nicht reif, auch wenn die Umfragewerte immer schlechter werden. In der Bundestagsfraktion, wo ebenfalls Unmut über die Kanzlerin und die Koalition mit der SPD schwelt, wurde jedenfalls der Merkel-Vertraute Volker Kauder mit 92 Prozent als Fraktionschef bestätigt.

Kein indirektes Mißtrauensvotum

Die Chance zu einem indirekten Mißtrauensvotum wurde nicht genutzt. Daher wird auch auf dem Parteitag allenfalls damit gerechnet, daß es einen leichten Dämpfer für CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla geben, aber die Chefin weitgehend ungeschoren davonkommen dürfte.

Ein Nachfolger für Merkel im Parteiamt ist auch weit und breit nicht in Sicht. Koch und Wulff gelten als aussichtsreichste Anwärter. Sie halten sich bedeckt. Keiner der beiden will in eine offene Feldschlacht gegen die Kanzlerin ziehen. Doch der Druck wächst in der CDU, deren Führung die von Rüttgers geforderte stärkere soziale Ausrichtung nicht will und konservative Positionen schon vor langer Zeit geräumt hat. Landesverbände wie Hessen und Niedersachsen, die 2008 Landtagswahlen bestehen müssen, sorgen sich, in den von Berlin ausgehenden Abwärtssog zu geraten. Und in Stoibers Freistaat wird 2008 ebenfalls gewählt. Um die Kanzlerin wird es einsamer werden.

Foto: Angela Merkel im Bundestag: Ohne typischen Stallgeruch


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