© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/06 06. Oktober 2006

Frisch gepresst

Paul Kirchhof. Wie eine heiße Kartoffel hatte ihn Angela Merkel fallenlassen. Im August 2005 - damals wollte sie Kanzlerin erst werden - hatte sie Paul Kirchhof in ihr "Kompetenz-Team" geholt. Der Rechtswissenschaftler, einstige Verfassungsrichter und Steuerexperte machte als Schattenfinanzminister etwas her. Aber sein Steuerreformkonzept galt zu vielen als zu radikal. Auf ihn konzentrierten sich die Angriffe zu vieler Gegner. Über eine politische Hausmacht verfügte "der Professor aus Heidelberg" und Außenseiter schon gar nicht. Und so wurde er Opfer des Wahlergebnisses und Merkels kühlen politischen Kalküls. Heiß ist diese Kartoffel jedoch noch immer. Wie die zwei Vorgänger von 2004 und 2005 reicht Kirchhofs aktuelles Buch über das Dringen auf eine umfassende Erneuerung des deutschen Steuersystems weit hinaus. Nun will er das ganze Land erneuern, und zwar fundamental. Der Staat sei zu einer Hydra verkommen, der Bürger zu seinem Opfer gemacht. Kirchhof entwirft, wie die Deformation zu überwinden sei (Das Gesetz der Hydra. Gebt den Bürgern ihren Staat zurück! Droemer Knaur, München 2006, gebunden, 320 Seiten, 19,90 Euro).

 

Rechts und links. Mit der politischen Sitzordnung hatte der "große alte Mann" des italienischen Linksliberalimus gerade zu Beginn seiner Karriere Schwierigkeiten. "Rinks und Lechts" konnte er, wie allzu Neugierige noch kurz vor seinem Tod herausfanden, schon einmal verwechseln, wenn es galt, im Staat Mussolinis sich akademisch - neudeutsch gesprochen - "zu positionieren". Von diesen Jugendverirrungen profitiert Norberto Bobbios gemeinhin als "klassischer" Text der politischen Philosophie gepriesene, nun schon in seiner vierten deutschen Auflage erschienene Großessay "Rechts und Links. Gründe und Bedeutungen einer politischen Unterscheidung" (Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2006, broschiert, 94 Seiten, 9,90 Euro) leider nicht.

 

Kulturgeschichte. Wie noch aus der "Lamprecht-Kontroverse" erinnerlich, die vor gut hundert Jahren die deutschen Historiker entzweite, standen einst die Verfechter einer "Haupt- und Staatsaktionen" favorisierenden politischen Geschichtsschreibung der kleinen Kollegenschar gegenüber, die "Kulturgeschichte" treiben wollten, "Alltags- und Mentalitätsgeschichte", wie es dann viel später hieß. Heute gibt es weder methodische noch ideologische Bedenken, das Politische und das Kulturelle zu synthetisieren, zumal das herrschende "Kultur"-Paradigma vom alten Primat des Politischen kaum etwas übriggelassen hat. Offene Türen scheinen daher die von Barbara Stollberg-Rilinger (Münster) herausgegebenen Studien einzurennen, wenn sie sich hinter dem Panier der "Kulturgeschichte des Politischen" anschicken, die "Dekonstruktion eines überhistorisch-universalisierenden und essentialistischen Verständnisses politischer Handlungsformen und Institutionen" zu betreiben (Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Duncker & Humblot, Berlin 2006, broschiert, 377 Seiten, 54 Euro).


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