© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/06 13. Oktober 2006

Rosenkrieg
Herrscherin auf Abruf: Der Druck auf Angela Merkel nimmt zu
Paul Rosen

Die Gesundheitsreform war das wichtigste Projekt der Großen Koalition. Daß bedeutende  Teile wie der zentrale Finanzierungsfonds auf das Wahljahr 2009 verschoben werden mußten, zeigt, daß sich der Vorrat an Gemeinsamkeiten dem Ende zuneigt. Angela Merkel ist nur noch Herrscherin auf Abruf. Sie ist ohne großen Rückhalt in wichtigen Landesverbänden ihrer Partei und wird von den Koalitionspartnern SPD und CSU mißtrauisch beäugt. Auch untereinander trauen sich die Koalitionsparteien nicht mehr. Es sieht so aus, als wartet besonders die SPD auf den richtigen Moment zum Absprung.  

Trotz aller Appelle zur Geschlossenheit fielen Merkel und der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck am vergangenen Wochenende in Zeitungsinterviews übereinander her. Struck meinte mit Blick auf die der Kanzlerin Widerstand entgegensetzenden Unions-Ministerpräsidenten, Merkel habe jetzt den schweren Weg vor sich, "Zusagen an die Koalition auch bei den Ländern einzufordern". Die Unions-Ministerpräsidenten übten "erheblichen Einfluß" auf die Arbeit der Koalition aus. Merkel biß zurück: "Es reicht jetzt mit den unaufhörlichen Angriffen von Herrn Struck auf die Ministerpräsidenten der Union." Was der SPD-Fraktionschef treibe, sei "eine Zumutung". Die Wahrheit ist: Was die beiden Koalitionsspitzenpolitiker da abliefern, ist ein Rosenkrieg vom feinsten.

 Die Frage ist, wie die Koalition ihre nächsten Vorhaben wie die Unternehmenssteuerreform oder Veränderungen an Hartz IV noch stemmen will. In diesen Bereichen gehen die Meinungen fast so weit auseinander wie bei der Gesundheitsreform. Die Mehrheit der Bürger ist vom Erfolg der Regierung nicht überzeugt, sondern hat den Eindruck, daß Union und SPD den Leuten nach Kräften in die Taschen langen, um Haushaltslöcher zu stopfen.

 Vor diesem Hintergrund wird in Berlin eifrig über Ausstiegszenarien diskutiert. Die FDP steht allerdings für ein Bündnis mit SPD und Grünen nicht zur Verfügung. Umgekehrt wäre eine Koalition von Union, FDP und Grünen für die CSU-Basis nicht akzeptabel.

FDP-Chef Guido Westerwelle wären Neuwahlen am liebsten, weil dann die stärkste FDP-Fraktion seit Bestehen der Bundesrepublik in den Bundestag einziehen würde. In Umfragen liegen die Liberalen bei 13 Prozent. Auch bei der SPD wächst die Lust auf Neuwahlen. Mit ihrem neuen Vorsitzenden, dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, haben sich die Sozialdemokraten stabilisiert. Beck ist in der Koalition ein harter Verhandlungspartner, der im übrigen mit Struck einen guten Kettenhund hat, während Merkel sich auf den schwächelnden Unionsfraktionschef Volker Kauder nur bedingt verlassen kann. Der bürgerlich wirkende Beck dürfte mit einiger Sicherheit der nächste Kanzlerkandidat der SPD werden.

 Jüngste Umfragen von infratest dimap zeigen, daß die SPD den 30-Prozent-Turm wieder verlassen hat und die Werte nach oben gehen. Umgekehrt fällt die Union ab und liegt jetzt bei 30 Prozent. Sollte der Trend anhalten und die SPD weiter zulegen, könnten die Sozialdemokraten auf Neuwahlen setzen. Bei der letzten Bundestagswahl kam die SPD auf 34,2 Prozent. Würde es Beck schaffen, ein ähnliches Ergebnis wie Gerhard Schröder 2002 (38,5 Prozent) zu erreichen, könnte gegen die SPD keine Regierung gebildet werden. Umgekehrt könnten sich die Sozialdemokraten den Bündnispartner aussuchen und mit FDP oder Grünen koalieren oder sogar mit der Linkspartei, auch wenn das die unwahrscheinlichste Variante ist.

 Unangenehm wird es für die Union. Der Riß zwischen CDU und CSU wird immer tiefer. CSU-Chef Edmund Stoiber will nicht noch mehr in den Abwärtsstrudel der CDU hineingezogen werden und betreibt inzwischen Opposition in der Regierung. Er wird dabei heimlich oder auch teilweise offen von CDU-Ministerpräsidenten unterstützt. Mit dem nordrhein-westfälischen Regierungschef Jürgen Rüttgers hat Stoiber öffentlich eine Achse gebildet. Andere Ministerpräsidenten wie Günther Oettinger (Baden-Württemberg) unterstützen Stoiber in Sachfragen wie zum Beispiel bei der Gesundheitsreform.

Neuwahlen zum Bundestag will in der Union auf absehbare Zeit niemand, weil selbst das schlechte Wahlergebnis von 2005 (35,2 Prozent) als nicht mehr erreichbar gilt. Aber der Druck auf Merkel wird, wenn die SPD nicht vorzeitig aus dem Bündnis aussteigen sollte, erheblich zunehmen. 2008 stehen in zwei von der CDU regierten Ländern und in Bayern Landtagswahlen an. Stoiber muß sich um seine Mehrheit nicht sorgen, aber für die Ministerpräsidenten Christian Wulff (Niedersachsen) und Roland Koch (Hessen) könnte es eng werden.

 Daher wird sich das Klima in der Koalition und besonders in der CDU im nächsten Jahr weiter verschlechtern. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird zu einem Einbruch der Konjunktur und möglicherweise steigenden Arbeitslosenzahlen führen. Die anläßlich der Fußball-Weltmeisterschaft aufgekommene gute Stimmung im Volk ist verflogen. Der Fisch, so eine alte Volksweisheit, beginnt vom Kopf an zu stinken. Und Merkel ist Kopf der Regierung.


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