© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/06 13. Oktober 2006

Pankraz,
Fürst Metternich und die Bürger in Wut

Von den Bürgern in Wut bekam Pankraz Post, die ihn in Verlegenheit brachte. "Wo bleibt Ihr Engagement für aktuelle Politik, wie wir es früher von Ihnen gewohnt waren?" wurde er gefragt. "Worüber gingen Ihre letzten Beiträge? Über Dinosaurier! Über den absoluten Duft! Über Seelenwanderung! Über die Frage, ob Gott logisch denkt! Was soll denn das? Interessieren Sie sich nicht mehr für Politik?"

Die Wahrheit ist, daß sich Pankraz tatsächlich immer weniger für "aktuelle Politik" inter-essiert, zumindest sofern es sich um deutsche Politik handelt. Und die Wahrheit ist ferner, daß sich auch in den Kreisen, in denen Pankraz gerne verkehrt, immer weniger Leute für "aktuelle Politik" interessieren. Man hegt dort nur noch Verachtung für diese Art von Politik und ihre Exekutoren. "Das ist nicht einmal mehr Schmierenkomödie", sagte einer, "das ist nur noch Abzocke ohne jede Gegenleistung. Wo soll da Interesse herkommen?"

Ein anderer seufzte: "Man möchte beinahe Anarchist werden. Denn der Alltag funktioniert ja offenbar auch ohne Politiker. Die Wirtschaft funktioniert, die Behörden funktionieren, wenn auch mit Ach und Krach, das sogenannte gesellschaftliche Leben, die 'Events' und die 'Galas' funktionieren. Was sollen da Politiker? Überall, wo sie eingreifen oder sich auch nur bemerkbar machen, wird es doch nur schlechter, funktioniert bald gar nichts mehr."

Wenn sie doch wenigstens attraktiv wären, fügte Pankraz an. Wenn sie doch wenigstens eine ordentliche performance hinlegen würden. Aber auch das ist nicht der Fall. Keiner von den derzeit medial herumgereichten Figuren hat auch nur den geringsten Unterhaltungswert. Von den feineren politisch-rhetorischen Tugenden zu schweigen. Keiner versteht mehr, das Publikum zu begeistern oder nachdenklich zu machen, die Herzen zu wärmen, neue, aktivierende Stichworte einzuführen. Nicht einmal versucht wird so etwas. Alles ist Routine, Klischee, kältester Kaffee.

Da sie nun mal persönlich nichts taugen", spann der Beinahe-Anarchist seinen Faden weiter, "so könnten sie immerhin dafür sorgen, daß der Rahmen, in dem sie agieren, etwas stabiler und aufwendiger gestaltet wäre. Mit anderen Worten: daß eine einigermaßen eindrucksvolle staatliche Repräsentanz vorgezeigt würde. In England fährt im Bedarfsfall die Königin auf, gnädige Winke aus hübscher Kutsche, eindrucksvolle Gardekürassiere hoch zu Roß mit hübschen Pelzmützen. Bei uns kommt statt dessen ein ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank im Straßenanzug und erzählt etwas über ewige deutsche Schuld. Zum Abschalten."

So ging das Gespräch weiter, und alle waren sich einig. Man sprach über die Politiker, wie man sonst über Hundekot in den Straßen Berlins spricht. Und die Nummer eins kam gar nicht vor. Für sie fehlen offenbar inzwischen buchstäblich die Begriffe. Man nimmt sie nur noch als Sache wahr, als eine Art Puppe, die manchmal putzige Töne von sich gibt, wenn man sie am Rücken drückt. Pankraz als loyaler Staatsbürger war darüber doch irgendwie betroffen. Doch er wußte: Anderswo, in anderen Zirkeln, wird um keinen Ton anders gesprochen. Das Gespräch, an dem er hier teilnahm, war ganz und gar typisch für die derzeitige Situation in Deutschland.

Alle sind sich auch darüber im klaren, daß sich im Rahmen der gegenwärtigen Parteienstruktur nichts zum Besseren verändern kann. Alle spüren: Ein bundesweit hochbekannter, weithin überzeugender und wirtschaftlich völlig unabhängiger Landsmann müßte her, wie seinerzeit in Italien Silvio Berlusconi, der das Parteiensystem resolut aufmischte, dessen Magnetkraft stark genug wäre, die traditionellen Formationen aufzuspalten und nach wirklichen Interessenlagen neu zu ordnen, der endlich auch der wahren, eindeutig "populistisch" gesinnten öffentlichen Meinung eine unüberhörbare Stimme verschaffte.

Mit anderen Worten: Es bedürfte eines entschiedenen Rechtsrucks, um die Dinge in Deutschland wieder in Fahrt zu bringen, eines Rechtsrucks, der nicht in neoliberalen Phrasen im Stile von "Bereichert euch, wo ihr nur könnt!" gipfelt, sondern der ein durchaus neuartiges, Initiative wie Gemeinschaft stiftendes Programm entfaltet, von der Wirtschafts- bis zur Außenpolitik, von der Familien- bis zur Ausländerpolitik. Neue Rhetorik wäre zunächst wichtiger als eindringende "Maßnahmen". Ein neues, von der bisherigen Stickluft sehr abweichendes politisches Klima wäre herzustellen, unter dem dann sowohl Nutz- wie Schmuckpflanzen wieder gedeihen könnten.

Eigentlich keine übermenschlich schwierige Aufgabe, sollte man meinen. Es gibt die Volksstimmung, die für diesbezügliche Änderung steht, es gibt die operationellen Vorbilder in anderen europäischen Ländern, es gäbe wahrscheinlich sogar hinreichend Personnage, um die fälligen Änderungen einzuleiten. Indes, das Heer der Aufpasser und die hinter ihm stehenden beharrenden Kräfte wissen genau, daß Änderungen, die in Italien oder Skandinavien hingenommen werden können, in Deutschland einen ganz anderen Karat hätten, daß sie das gesamte Koordinatennetz der europäischen Politik langfristig und grundlegend verschieben würden, weg vom gewohnten Trott, hin zu neuen Horizonten.

So tut man faktisch alles, um jeden Ansatz zur Änderung sofort zu ersticken. Ein System des Niederhaltens und der Diskussions-Verhinderung, der Sprachregelungen, der Spitzelei, der Verbote und der Schläge auf den Magen ist entstanden, das weit effektiver funktioniert als das Niederhaltesystem der sogenannten Restaurations- oder Metternichzeit zwischen 1815 und 1848. Auch im aktuellen europäischen Vergleich steht es einzig da, ist im Endeffekt zum Beispiel sehr viel tyrannischer als das gegenwärtige russische, unter dem ja durchaus sehr interessante, breit entfaltete Debatten möglich sind.

Immerhin, in Deutschland steigt die Wut der Bürger. Selbst Pankraz bekommt es zu spüren. Aber er ist mit Sicherheit die falsche Adresse.


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