© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/06 20. Oktober 2006

Nachbarschafts-Geschichten
Polen im Kleinformat
Peter Lebitsch

Warum genoß Johannes Paul II. in Polen so hohes Ansehen? Wer unseren östlichen Nachbarn verstehen will, muß seine Geschichte kennen. 992 unterstellte sich Polen der römischen Kirche, und noch 1717 wurde die "Jungfrau Maria" zur polnischen Königin erhoben. Gerade in Notzeiten verklammerte die katholische Kirche das Land.

Jürgen Heyde, Dozent an der Universität Halle-Wittenberg, komprimiert die polnische Geschichte auf 127 Seiten. Dem interessierten Laienpublikum sei dieses Buch empfohlen. Obwohl Heyde wenig analysiert, kann man zentrale Kontinuitäten der Geschichte Polens doch erkennen.

Expansion, innerer Zerfall und Fremdherrschaft begründeten eine fatale Dialektik. Seit der dynastischen Verbindung mit Litauen avancierte Polen im Spätmittelalter zur osteuropäischen Großmacht. Das Imperium der Jagiellonen berührte Ostsee und Schwarzes Meer, es reichte von Pommerellen bis nahe Moskau. Noch 1920 versuchte Marschall Pilsudski vielen negativen Erfahrungen zum Trotz, weißrussische und ukrainische Gebiete zurückzuerobern.

Der Autor meidet das Stichwort "polnischer Imperialismus". Indes mußte Polen die Überdehnung seiner Kraft teuer bezahlen. Es bekriegte Russen, Schweden, Türken und den Deutschen Orden. Polnische und litauische Interessen differierten. Die Könige sahen sich genötigt, dem Adel immer mehr Privilegien zu verleihen, um das monströse Doppelreich zu erhalten. So entstand die berüchtigte polnische Adelsrepublik. Das Land fiel in tiefe Rückständigkeit; letztlich folgte die Katastrophe der Teilungen.

Am Ende des 18. Jahrhunderts stand der Uhrzeiger fünf Minuten vor zwölf. Rußland, Preußen und Österreich wollten sich den bröseligen polnischen Kuchen einverleiben. Da erhielt Polen im Mai 1791 die "erste geschriebene Verfassung" Europas. Doch sie kam zu spät, und das Land verschwand von der politischen Karte.

1918 entstand ein unabhängiges Polen. Schon jetzt wurden das südliche Ostpreußen und Teile Schlesiens reklamiert. Nur 65 Prozent der Bürger des neuen Staates waren Polen. Alle anderen erlagen einer massiven "Polonisierung".

Jürgen Heyde: Geschichte Polens. Reihe Wissen. C.H. Beck, München 2006, broschiert, 128 Seiten, 7,90 Euro


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