© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Skandal nach Zahlen
"Kampf gegen Rechts" I: Die Debatte über die Zunahme von "rechten" Gewalttaten stützt sich auf vorläufige Daten
Peter Freitag

Anfang vergangener Woche ging wieder ein Alarmsignal durch die Presse: Von einem "dramatischen Anstieg rechtsextremistischer Straftaten" (Spiegel) war die Rede. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) richtete einen "flehentlichen Appell" an Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU), die Bundesprogramme gegen Rechtsextremismus "in ihrer Ausrichtung unbedingt fortzusetzen", deren Alimentierung durch Steuergelder aus dem Bundeshaushalt eigentlich im Sommer 2007 auslaufen sollte. Mit Erfolg. Ende vergangener Woche teilte die Bundesregierung mit, daß im kommenden Jahr fünf Millionen Euro mehr für den Kampf gegen Rechtsextremismus zur Verfügung gestellt werden.

Auslöser der ganzen Aufregung ist ein Bericht im Berliner Tagesspiegel, wonach laut einer Statistik des Bundeskriminalamts (BKA) bis Ende August dieses Jahres "fast 8.000 rechte Straftaten" zu verzeichnen seien, was gegenüber demselben Zeitraum im Vorjahr einen Anstieg um über 20 Prozent bedeute. Hintergrund der Veröffentlichung dieser Zahlen sind monatliche Anfragen der Bundestagsfraktion der Linkspartei an die Bundesregierung über "die erfaßten Straftaten mit rechtsextremem und ausländerfeindlichem Hintergrund".

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick in die offiziellen Zahlen des Bundesinnenministeriums für den statistisch abgeschlossenen und gesicherten Zeitraum des Jahres 2005. Im Verfassungsschutzbericht, der die Zahlen des BKA auflistet, heißt es zur "politisch motivierten Kriminalität - rechts": "In diesem Phänomenbereich wurden 15.361 (2004: 12.051) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 958 (2004: 776) Gewalttaten erfaßt. Damit stieg die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 27,5 Prozent, die der Gewalttaten um 23,5 Prozent. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund beträgt 6,3 Prozent (2004: 6,4 Prozent). Bei 85,7 Prozent (2004: 86 Prozent) aller politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund handelte es sich entweder um Propagandadelikte (10.881 Taten, 2004: 8.337) oder um Fälle von Volksverhetzung (2.277 Taten, 2004: 2.065)."

Auf Beschluß der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern wurde 2001 das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) eingeführt, bei dem dieses Kriterium einer Tat zentral erfaßt wird. Ausschlaggebend sind für diese Einordnung der "subjektive Tathintergrund" des Täters sowie die "objektive thematische Zuordnung" der Tat. Unterschieden wird dabei zwischen "PMK - rechts", "PMK - links" und "Politisch motivierte Ausländerkriminalität". Die Daten aus den Ländern werden seit Einführung des Definitionssystems einmal jährlich im Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlicht.

Die vom Tagesspiegel veröffentlichten Zahlen für die zurückliegenden Monate sind also vorläufig und betreffen lediglich einen der drei Bereiche von "Politisch motivierter Kriminalität". Daß entsprechende Zahlen zu den anderen beiden Gebieten nicht vorliegen, liegt vor allem daran, daß niemand eine entsprechende Anfrage gestellt hat und das Innenministerium von sich aus dies erst bei Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2006 tun wird. Diese Verengung der Faktenlage geschieht offensichtlich genauso absichtsvoll wie der fehlende Hinweis auf die Relationen.

Pau fordert unabhängige Beobachtungsstelle

Bei 72 Prozent der rechtsextremen Straftaten, wie sie in den von der Linkspartei erfragten Fallzahlen ausgewiesen sind, handelt es sich um sogenannte "Propagandadelikte", die meist aus Verstößen gegen das Verbot des Zeigens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen oder gegen das Verbot der Volksverhetzung bestehen. In 5,7 Prozent der Fälle liegen rechtsextrem motivierte Gewalttaten vor. Außerdem besagt die (vorläufige) Statistik, daß 617 offensichtlich rechtsextreme Personen vorläufig festgenommen und gegen 19 Haftbefehle erlassen wurden.

Hier ist ein Hinweis auf das notwendig, was die Statistik tatsächlich aussagt und was nicht: Denn die zusammengestellten Zahlen stammen von den Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfolgungsbehörden, nicht etwa von der Justiz. So erweist sich nicht jede unterstellte politische Motivation vor Gericht auch tatsächlich als eine solche. Das Landgericht Dortmund verneinte im November 2005 etwa die von der Polizei vermutete politische Motivation einer Gewalttat, bei der ein Punker im März desselben Jahres zu Tode gekommen war. Wie vorsichtig man mit der vorschnellen Einordnung einer Tat als (vermeintlich) "rechts" sein muß, zeigte gerade auch der spektakuläre Fall "Ermyas M.".

Während es zunächst hieß, der aus Äthiopien stammende Potsdamer, der am Ostersonntag zusammengeschlagen worden war, sei Opfer eines Mordversuchs mit fremdenfeindlichem Tathintergrund geworden, wurde die Anklage gegen zwei Verdächtige deutlich abgeschwächt. Ende September wurde auch der 29 Jahre alte Hauptverdächtige aus der Untersuchungshaft entlassen, da die Anklage jetzt auf gefährliche Körperverletzung laute und ihm im Falle einer Verurteilung "nur" eine Haftstrafe von deutlich unter vier Jahren droht.

Daß Linkspartei-Fraktionsvize Petra Pau nun im Gefolge der schlagzeilenträchtig veröffentlichen Zahlen die Bildung einer "unabhängigen Beobachtungsstelle Rechtsextremismus" fordert, verwundert wenig. Dem ehemaligen Mitglied des Zentralkomitees der DDR-Staatsjugend FDJ seien zur Ergänzung wenigstens die Zahlen "PMK - links" aus dem vergangenen Jahr nachgereicht. Die liegen in der Gesamtheit unter denen der "Rechten", da der Straftatbestand "Propagandadelikt" hier mangels gesetzlicher Grundlagen weitgehend unbekannt ist, während er beim Rechtsextremismus über 85 Prozent der Fälle betraf. Zur Be(un)ruhigung kann für 2005 jedoch darauf verwiesen werden, daß sich in puncto Gewalttaten "Links" und "Rechts" annähernd die Waage halten. Und das sagt die offizielle Statistik: "Dem Phänomenbereich 'Politisch motivierte Kriminalität - links' wurden 4.898 (2004: 3.521) Straftaten, hiervon 1.240 (2004: 789) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 2.305 (2004: 1.440) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 896 (2004: 521) Gewalttaten, erfaßt. Damit stieg die Zahl der politisch links motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 60,1 Prozent, die der Gewalttaten um 72 Prozent."


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