© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Farce statt Tragödie
Deutsch-polnisches Verhältnis: Der Zollkonflikt um das deutsche Ausflugsschiff "Adler Dania" war nur ein weiteres Zeichen der bilateralen Gereiztheit
Thorsten Hinz

Der Zollkonflikt um das deutsche Ausflugsschiff "Adler Dania" in der vergangenen Woche ist ein Zeichen der Gereiztheit, die das deutsch-polnische Verhältnis zwar nicht mehr beherrscht, aber immer noch beeinflußt. Die Art und Weise, wie sie von den Politikern beider Länder behandelt wird, zeigt aber immerhin, daß Geschichte sich nicht wiederholen muß.

Die drei polnischen Zöllner, die Alkohol und Zigaretten konfiszieren wollten und daraufhin vom deutschen Kapitän zu einem unfreiwilligen Landgang auf dem deutschen Teil der Insel Usedom gezwungen wurden, seien eventuell Opfer eines "Minimal-Kidnapping" geworden, meinte der für Rechtsfragen zuständige Konsul an der polnischen Botschaft in Berlin. Das klingt beinahe niedlich, und das war der Vorgang ja auch. Um so mehr, wenn man die aktuelle Zollbeamten-Affäre mit der vom Sommer 1939 vergleicht. Damals hatte die Republik Polen die Zahl seiner Zollinspektoren in der Freien Stadt Danzig - gemäß dem Versailler Vertrag ein deutscher Miniaturstaat, der zollrechtlich zu Polen gehörte - drastisch heraufgesetzt. In der international aufgeheizten Atmosphäre wollte Polen seinen Anspruch auf die Hansestadt demonstrieren.

Respektierung der polnischen Zollvorschriften

Der Handelsverkehr ins ostpreußische Hinterland des Deutschen Reiches wurde massiv behindert. Der Danziger Senat übergab am 3. Juni 1939 eine Protestnote an den polnischen Vertreter in Danzig, Marian Chodacki, die am 10. Juni zurückgewiesen wurde. Polen argumentierte, die Zahl der Inspektoren sei eher noch zu niedrig, im Verteidigungsfall sollten sie die Respektierung der polnischen Zollvorschriften sicherstellen. Indirekt war damit die Zernierung (Einschließung) bzw. Invasion der Stadt angedroht.

Danzigs Lage war kaum komfortabler als später die Lage West-Berlins. Am 6. Juni vermeldete der deutsche Botschafter, Hans Adolf von Moltke, wegen des Danzig-Konflikts herrsche in Polen eine "aufgepeitschte Stimmung", die allgemeine Entschlossenheit zum Krieg und das "Vertrauen auf (den) Endsieg der Einkreisungsmächte".

Manche glaubten sogar, die Konstellation für einen Schlag gegen Deutschland sei günstig, denn die britische Rückendeckung sei nie so stark wie jetzt gewesen. Hintergrund war eine Londoner Garantieerklärung für Polen, die in Warschau als Blankoscheck aufgefaßt wurde. Außerdem wußte man durch die Berichte des polnischen Botschafters in Washington, Graf Jerzy Potocki, daß es in der US-Führung eine tiefe Abneigung gegen das Deutsche Reich gab.

Am 17. Juli wies Generalkommissar Chodacki den Danziger Senatspräsidenten darauf hin, daß die "einseitige Rückkehr Danzigs zum Reich für Polen absoluter Kriegsgrund" sei. Am 22. Juli führte Polen Beschwerde über Behinderungen und Beleidigungen seiner Zollbeamten. Die Ausfuhren einer Danziger Margarinefabrik, die mehr als zwölf Prozent der Danziger Exporterlöse erwirtschaftete, wurden blockiert. Der Senat schrieb am 31. Juli in einer Note, die Zahl der polnischen Zollbeamten sei nicht gerechtfertig, und die Versuche, ihre Befugnisse auszuweiten, würden nicht mehr anerkannt.

Völkerbundkommissar Carl Jacob Burckhardt versuchte die Situation zu entspannen. Er bat Chodacki, Polen solle einlenken, sonst würde Danzig Gegenmaßnahmen ergreifen. Chodacki fragte lächelnd, was Danzig denn schon tun könne. Burckhardt nannte die Öffnung der Grenze nach Ostpreußen. Chodacki sagte nur, das bedeute Krieg.

Verbündete der ersten und der dritten Kategorie

Am 4. August übergab er eine offizielle Note an den Senat, in der schwere Vergeltung angekündigt wurde, falls die Anweisung, die Zollbeamten zu ignorieren, nicht rückgängig gemacht würde. Alle polnischen Beamten würden ab dem 6. August in Uniform und mit Waffe an allen für notwendig erachteten Punkten Stellung beziehen. Der Senat wich zurück und sprach von einem Mißverständnis. Doch der Konflikt schwelte weiter, man weiß, zu welchem Ende.

Eine vergleichbare Zuspitzung ist heute undenkbar. Zbigniew Brzezinski, Nestor der US-Außenpolitik mit polnischen Wurzeln, mahnte kürzlich die Regierung in Warschau, die Beziehungen zu Deutschland nicht zu verschlechtern und dem Irrtum zu unterliegen, die Sympathien der Amerikaner dabei auf ihrer Seite zu haben. Gewiß sei Polen ein wichtiger Verbündeter für die USA, aber nur in dem Maße, wie es gute Beziehungen zu Deutschland unterhielte. Denn Berlin sei für Washington nach wie vor ein Verbündeter der ersten, Polen erst der dritten Kategorie.

Weder träumen Präsident Lech und Premier Jarosław Kaczyński vom Marsch auf Berlin, noch will Kanzlerin Angela Merkel ab 5.45 Uhr zurückschießen. Die CDU-Chefin hat genug zu tun

mit der Gesundheitsreform und demnächst mit der Präsidentschaft in der Europäischen Union, der inzwischen auch Polen angehört. Und überhaupt haben die abgekämpften europäischen Nationen in zwischenstaatlichen Konflikten nur noch die Kraft zur Farce, nicht mehr zur Tragödie.
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