© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
EU-Gipfel der versäumten Chance
Andreas Mölzer

Beim Gipfel im finnischen Lahti (Lahtis) haben sich die EU-Staats- und Regierungschefs und der russische Präsident Wladimir Putin für eine "berechenbare und auf gemeinsamen Grundsätzen aufbauende Energiezusammenarbeit" ausgesprochen. Für Chirac, Merkel & Co. beschränken sich diese Grundsätze jedoch auf einen besseren Zugang zum russischen Markt. Also kurzsichtige wirtschaftliche Nutzenmaximierung als oberstes politisches Prinzip - eine Verhaltens- und Denkweise, welche die EU nicht nur im Inneren in eine tiefe Krise geführt, sondern auch ihr weltpolitisches Zwergendasein zu Folge hat. Das erklärt auch, warum die Chance, die Beziehungen zu Rußland endlich zu einer wirklichen strategischen Partnerschaft auszubauen, wieder einmal versäumt wurde.

Durch diese versäumte Chance wird die bedenkliche Abhängigkeit Europas von den USA weiterhin bestehen bleiben. Schließlich beziehen die EU-Staaten einen Großteil ihres Erdöls aus dem krisengeschüttelten Nahen Osten. Und diese Region ist - wie zuletzt der Angriffskrieg der USA auf den Irak gezeigt hat - das Exerzierfeld Nummer eins für Washingtons Weltmachtstreben. Weil die EU offenbar nicht willens ist, sich aus dieser tödlichen Umarmung zu lösen, wird sie über kurz oder lang einen sehr hohen Preis zahlen. Die EU wird, wenn sie weiterhin ein Sklave der aggressiven US-Außenpolitik bleibt, die Feindschaft der gesamten islamischen Welt auf sich ziehen.

Beinahe skurril mutet es an, wenn die Europäer nun versuchen, menschenrechtspolitische Erwägungen als Argument gegen ein engeres Verhältnis zu Rußland heranziehen. Im Falle der USA, die unter Bruch des Völkerrechts Kriege anzetteln, waren bislang noch keine Stimmen aus der EU zu hören, die "transatlantische Partnerschaft" zumindest zu überdenken. Offenbar dient die Pflichtentrüstung gegen Putin nun dazu, das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen. Mögen russische Demokratie und Rechtsstaat auch Mängel aufweisen - eines steht fest: Rußland muß einerseits erst die schweren Lasten der über 70jährigen menschenverachtenden Herrschaft des Kommunismus und andererseits jene der "wilden Privatisierungen" in den neunziger Jahren beseitigen. Das ist ein Prozeß, der zumindest eine ganze Generation dauern wird. Das EU-Polit-Establishment scheint aber auch die eigenen schweren Fehler gegenüber Moskau zu übersehen. Nur allzu bereitwillig spielten manche Mitgliedstaaten der EU den Lakaien Washingtons, als die USA versuchten, sich durch die von ihnen gesteuerte "orangene Revolution" in der Ukraine in der natürlichen historischen Interessenssphäre Rußlands festzusetzen.

Wenn die EU ihre Versorgung mit fossilen Energieträgern sicherstellen will, dann muß sie eine eigenständige, von den USA unabhängige Energieaußenpolitik betreiben. Neben korrekten, von Verständnis und Respekt getragenen Beziehungen zum Iran, der von US-Präsident George W. Bush in selbstherrlicher Weise zu einem "Schurkenstaat" abgestempelt wurde, beinhaltet das ein besonders enges Verhältnis zu Moskau. Schließlich ist Rußland, aus dem die EU-Staaten heute schon ein Viertel ihres Erdöls und Erdgases beziehen, nicht nur energiepolitisch ein Schlüsselland, sondern auch aus geographischen und kulturhistorischen Gründen der natürliche Partner.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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