© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Konterrevolution
Politische Zeichenlehre, VIII: Die Farbe Weiß
Karlheinz Weißmann

Seit kurzem macht die - noch nicht veröffentlichte - Dissertation des Münchner Historikers Sönke Zankel über die Weiße Rose von sich reden. Hauptgrund ist die Tendenz zum Bildersturm. Der Verfasser hat einige mehr oder weniger spekulative Annahmen über Drogensucht und Judenfeindschaft der studentischen Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl geäußert und im übrigen festgestellt, daß sie einem elitären und wenig demokratischen Weltbild angehangen habe.

Im Fall der Weißen Rose erscheint das besonders skandalös, da man es mit einer moralischen Ikone zu tun hat. Allerdings konnte man schon früher wissen, daß die Vorstellungen des Kreises kaum heutigen Normen entsprachen. Ein Blick auf die Texte der Flugblätter hätte genügt: der Rekurs auf Theodor Körner und die Befreiungskriege, der Freiheitsidealismus und der Rückgriff auf die Ehre der Nation. Zankel bezieht sich allerdings auch auf die Symbolik des Namens "Weiße Rose" und mutmaßt, Hans Scholl habe ihn gewählt unter Bezugnahme auf die royalistischen Emigranten während der Französischen Revolution.

Nun ist diese Ableitung selbst zwar irrig, aber ohne Zweifel war Weiß das Symbol der Konterrevolution. Das erklärte sich aus dem simplen Sachverhalt, daß die Farbe seit dem Mittelalter zu den bevorzugten Emblemen der französischen Monarchie gehörte. Schon die französischen Kreuzfahrer sollen ihre Kleidung mit weißen Kreuzen benäht haben.

Eine weiße Fahne mit dem Bild der Muttergottes führte die Jeanne d' Arc und gab dem Zeichen damit gesamtfranzösische Bedeutung. Das erklärt wahrscheinlich auch, warum die protestantischen Hugenotten in der Zeit der Religionskriege weiße Fahnen verwendeten, da sie ihren Kampf gegen die mit Spanien verbündete katholische Liga als Nationalkrieg verstanden. 1590 ließ Heinrich von Navarra in der Schlacht bei Ivry seine weiße Feldbinde als Fahne aufstecken.

Nach seinem Sieg und Übertritt zum Katholizismus wurde Weiß von dem nun so genannten Heinrich IV. nicht mehr als Farbe einer Religionspartei, sondern als Symbol des regierenden Hauses Bourbon und dann (mit den goldenen Lilien versehen) als eine Art "Nationalflagge" betrachtet. Die Regimenter der Landstreitkräfte erhielten unter seinem Nachfolger Franz I. Ordonnanzfahnen mit weißem Kreuz und farbigen Feldern, während die Obristenfahne ein weißes Kreuz auf weißem Feld zeigte, so daß die Figur ganz verschwand und der Eindruck einer vollständig weißen Fläche entstehen konnte.

Sehr wahrscheinlich ist aus dem Brauch, bei Verhandlungen einen Parlamentär mit Obristenfahne als Zeichen seiner Vollmacht ins Niemandsland oder ins feindliche Lager zu schicken, die Vorstellung entstanden, daß die weiße Farbe ein Signal für Gesprächs- oder Kapitulationswillen sei. Eine Übung, die dann von den anderen europäischen Staaten übernommen wurde, obwohl das Weiß gleichzeitig seine Funktion als französische Nationalfarbe behielt.

Bis 1789 waren die königlichen Kokarden der Linientruppen weiß, und bekanntlich entstand die revolutionäre Trikolore Frankreichs aus deren Verbindung mit den blau-roten Abzeichen der Stadt Paris, genauer gesagt ihrer Bürgermiliz. Allerdings wurde der blau-weiß-rote Dreifarb erst am 24. Oktober 1790 zur neuen Landesflagge erklärt. Schon am 22. Mai des Jahres hatte sich Ludwig XVI. zu einer Proklamation gezwungen gesehen, in der er das Tragen anderer Kokarden als der dreifarbigen verbot. Das war eine Demonstration seines Gehorsams gegenüber der Nationalversammlung und gegen die Königstreuen gerichtet - die man anfangs (wegen ihrer Kirchlichkeit) als "Schwarze" bezeichnet hatte - und die zukünftig "die Weißen" hießen. Bei den royalistischen Aufständen in der Vendée und in der Bretagne verwandten die Rebellen selbstverständliche weiße Fahnen, weiße Arm- und Feldbinden als Ausdruck ihrer antirevolutionären und katholischen Gesinnung.

Mit der Rückkehr der Bourbonen, 1814, wurde Weiß dann wieder in seinen ursprünglichen Rang eingesetzt. Aber dabei mußten starke Widerstände überwunden werden, und mit der Julirevolution von 1830 verschwand die alte königliche Farbe endgültig. Sie spielte nur noch einmal beim letzten Versuch einer Restauration in Frankreich eine wenngleich fatale Rolle: Am 5. Juli 1871 lehnte der Graf von Chambord, der unter dem Namen Heinrich V. den Thron besteigen sollte, die Krone ab, weil deren Annahme mit der Forderung verknüpft war, die Trikolore zu akzeptieren.

In der politischen Symbolik hat Weiß indes als Symbol der traditionsgebundenen Kräfte bis ins 20. Jahrhundert eine wichtige Funktion gehabt. Jedenfalls nannte man seit dem bolschewistischen Putsch von 1917 die Gegenrevolutionäre regelmäßig "Weiße", bis hin zu den "Weißgardisten" des russischen und den "weißen Truppen" des deutschen Bürgerkriegs. In Deutschland erschienen noch in den vierziger Jahren die hochkonservativen Weißen Blätter; ihr ursprünglicher Titel war Monarchie, und herausgegeben wurden sie von Karl Ludwig Freiherr zu Guttenberg, einem der bekanntesten bayerischen Legitimisten und entschlossensten Gegner des Nationalsozialismus, den die Gestapo noch im April 1945 ermordete.


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