© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

"Der Frost macht uns hart"
Pressefreiheit unter Putin
Christian Dorn

Als Reaktion auf die Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja am 7. Oktober (JF 42/06), dem Geburtstag Putins, haben in den vergangenen Tagen namhafte Journalisten und Schriftsteller in Deutschland das "System Putin" kritisiert.

Auf einer von der Schriftstellerin Monika Maron initiierten Gedenklesung im Berliner Verlagsgebäude der FAZ, etwa achthundert Meter entfernt von der russischen Botschaft, bezeichnete Gastgeber Frank Schirrmacher den Mord als ein "fatales Geburtstagsgeschenk" für den Kreml-Chef. Der Tathergang transportiere eine unmißverständliche Botschaft: Wer der staatlichen Propaganda widerspricht und die unsichtbare Grenze überschreitet, richtet sich selbst.

Schirrmacher verdeutlichte die prekäre Situation der russischen Presse, als er erwähnte, daß unter den hier Versammelten Angehörige von russischen Journalisten seien, die seit Jahren spurlos verschwunden sind. Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Seit dem Ende der Sowjetzeit wurden in Rußland 261 Journalisten ermordet, in nur circa 20 Fällen wurden die Täter ermittelt.

Politkowskajas im deutschen Exil lebende tschetschenische Kollegin Mainat Abdullajewa von der Zeitung Nowaja Gasjeta ist überzeugt, daß die Öffentlichkeit nie erfahren wird, wer hinter dem offensichtlichen Auftragsmord steht. Sie schilderte, wie im Internet Steckbriefe mit den privaten Adressen von "Volksfeinden"und ihrer Familie kursieren.

In einem kaum verklausulierten Mordaufruf an einem Journalisten heißt es: Er "sitzt zwar in U-Haft, man kann aber mit seiner alten Mutter abrechnen". Mit dem Mord an Politkowskaja sei jedem, der in Putins Rußland zu widersprechen wagt, gezeigt worden, "daß ihm das gleiche passieren wird". Wenn es keine mutigen russischen Journalisten mehr gebe, so ihr Szenario, würden die Täter "auch vor westlichen Kritikern nicht mehr haltmachen".

Diese fordern inzwischen eine internationale Untersuchungskommission; die Organisation "Reporter ohne Grenzen" hat dazu im Internet eine Unterschriftenkampagne gestartet.

Unterstützt wird die Forderung auch von dem Politiker Freimut Duve und dem Künstler Klaus Staeck. In einer Podiumsdiskussion in der Berliner Akademie der Künste, die unter dem paradoxen Titel "Mörderische Pressefreiheit" stand, wies Duve, bis 2003/2004 langjähriger OSZE-Beauftragter für die Freiheit der Medien, darauf hin, daß Rußland nach Kolumbien die zweithöchste Zahl an ermordeten Journalisten aufweist, und zeigte auf, wie die russische Presse allein schon auf ökonomischen Wege gleichgeschaltet worden sei. So gehören dem Konzern Gazprom mittlerweile 80 Prozent aller russischen Printmedien.

Dirk Sager, langjähriger Rußland-Korrespondent des ZDF, resümiert, daß Putin mit "Leninscher Klarheit" das Prinzip erkannt habe, daß, wem die Presse gehört, auch Rußland besitzt. Die Ermordung Politkowskajas sei in diesem System eigentlich programmiert gewesen.

Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT drückte er - am Rande der Gedenklesung - seine Trauer mit einem Zitat der Gruppe Renft aus: "Manchmal fällt auf uns der Frost und macht uns hart". Befragt, was die deutsche Politik tun könne, sah er nur einen "begrenzten Spielraum". Gleichwohl könne man auch hier einen moralischen Gesichtspunkt wahren, das habe Bundeskanzlerin Merkel - im Unterschied zu ihren beiden Amtsvorgängern Kohl und Schröder - getan.


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