© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/06 27. Oktober 2006

Sei stolz, Berlin!
Das Gelungene dominiert: Erstmals seit 1939 sind die Raumkunstwerke des Bodemuseums für die Öffentlichkeit wieder begehbar
Wolfgang Saur

Sei stolz, Berlin!" So der Zuruf der Berliner Neuesten Nachrichten vom 18. Oktober 1904. Zu Recht, galt er doch dem glanzvollen Museum, das, eben eingeweiht, sich vor hämischer Kritik kaum retten konnte. Vom "verunglückten Bau" war die Rede, von "kalter Pracht und Materialprotzerei", von "zusammengestümperter Architektur" und "byzantinischem Unsinn". Da wog jedes Gegenwort.

Solche Sorge ist heute abgetan. Hundert Jahre Polemik gegen die "wilhelminischen Künste" sind segensreicher Toleranz gewichen - nicht zuletzt nach den Bausünden der letzten fünfzig Jahre, den Plattenbauten und Europazentren. So segelt der gewaltige Bau mit tüchtigem Aufwind in seine neue Ära. Generaldirektor Peter-Klaus Schuster trifft die aktuelle Stimmung, wenn er von einer Verzauberung durch die "theatralische Attitüde und würdevolle Gelassenheit des so vollständig kühn im Wasser stehenden Kunstschlosses" spricht. "Man bestaunt eine Architekturphantasie (...) ein grandioses Pasticcio", so seine Worte zur feierlichen Eröffnung.

Ein Ereignis - in jeder Hinsicht! Für Berlin und Deutschland, für die europäische Museenlandschaft, ja die Welt. Denn unsere Adresse spielt mit in der Liga der ganz Großen. Diese Potenz war lang verdeckt, war doch das Bodemuseum sage und schreibe 67 Jahre ausgeschieden aus dem internationalen Konzert! Schon im August 1939 wurden Berlins Museen geschlossen, die Sammlungen verpackt, dann abtransportiert. Durch Kriegszerstörung, Teilung, Kunstverlust war nach 1945 Wilhelm von Bodes Werk nicht wiederherstellbar; es überlebte nur partiell. Erst die Wende vereinigte Ost- und Westkunst. Es folgten die Generalsanierung ab 1993, dann der totale Rück- und Umbau seit 1998 (162 Millionen Euro).

Jetzt endlich ist uns nicht bloß das herrliche Haus geschenkt, sondern der Zugang zu den weltberühmten Kollektionen wieder möglich. Vieles von den Herrlichkeiten wird erstmals seit 1939 wieder gezeigt. Kostbarkeiten, die man in all den Jahren nur aus der Literatur kannte - denn: Archäologie, alte Geschichte, Kunsthistorie und Byzantinistik kommen nie ohne die Referenzgröße Berlin aus. Jetzt treten sie uns vor Augen: Elfenbeintafeln, Sarkophage, Münzen, Mosaiken, Altarschreine, Plastiken aus Mittelalter und Neuzeit, Ölbilder, Bronzen, Fresken gar; der magische Glanz byzantinischer Ikonen, Lionardos Flora-Büste oder das Tiepolo-Kabinett aus Nervesa.

1904 öffneten fünf Abteilungen: die frühchristlich-byzantinische Sammlung, das Islammuseum, Münzkabinett, Skulpturensammlung und Gemäldegalerie. 2006 faßt das Haus noch drei Sparten: Münzkabinett, dann Skulpturen und christliche Kunst (vereinigt seit 2000). Das Bodemuseum verfügt jetzt in 66 Räumen über eine Ausstellungsfläche von 6.600 Quadratmetern. Die verteilen sich auf drei Ebenen, konzentrieren sich jedoch im 1. und 2. Geschoß. Es gibt große und kleine Räume, zahlreiche Kabinette, teils mit Seiten-, teils mit Oberlicht - eine vielgliedrige Raumkonstruktion, verbunden durch Barockvestibül, Halle, Basilika und Rokokostiege, mittig die konische Bauform erschließend.

Viel zu lange kannte man die Schätze nur aus Büchern

Unverändert strahlt die Renaissance-Basilika, Herz des Komplexes und eigentlicher Symbolort. Der Besucher erlebt hier "Bode pur". Bode, seit 1872 im Dienst der Berliner Museen, von 1905 bis 1920 ihr Generaldirektor, plante seit 1880 ein Renaissance-Museum, das schließlich zwischen 1897 und 1904 entstand, allerdings neobarock. Das verwies auf die Hohenzollern wie die Basilika auf den bürgerlichen Chef. Bodes Basilika erhöhte Schönheit kultisch und machte das Heilige ästhetisch erlebbar: das Programm der Kunstreligion seines Jahrhunderts. Dabei imaginierte man Italien, die Zeit um 1500, ihre schöpferische Aura. Künstler, Kenner, Mäzene haben Florenz zur Kunststadt Europas gemacht; auch Sammeln und Kunsthistorie wurzeln hier. All dies drückt die Basilika aus. So wird sie zum idealen Präsentationsraum, zumal der acht prachtvollen Altäre. Verschmelzung von Bauform und Exponaten zu einer Stileinheit, einem harmonischen Ensemble, das war das neue Konzept.

Als integriertes Ausstellungsmodell mit atmosphärisch dichten Stil- und Epochenräumen, die Objekte verschiedener Gattungen kombinierten - Bilder, Plastiken, Möbel, Gobelins, Bronzen -, bezeichnet das "kulturhistorische" Paradigma von 1890 die Revision des "wissenschaftlichen" Museums von 1860. Profis hatten die Sammlungen erfaßt, sie systematisch durchdrungen: aus akademischem Blickwinkel die Gattungen strikt separiert, dann chronologisch nach Stilkriterien und Schulen geordnet. Das empfand man jetzt als "Spezialistenkultur, die entmündigte und statt einer ganzheitlichen (...) Ansprache bloß die technokratische Logik institutioneller Apparate" befriedigte. (Alexis Joachimides)

Bode selbst formulierte 1883: "Man bedauert, Kunstwerke (...) in den Galerien nüchtern fortgestellt oder in Reihen an der Wand geordnet zu sehen (...) Könnte man nicht ein herrliches und harmonisches Ganzes herstellen, wenn man Statuen und Bilder, Büsten und Reliefs in schöne Räume zusammenstellte?" So geschah es. Hier entsprangen Bodes "Raumkunstwerke" als malerische Ensembles - bis freilich die nächste Generation wieder dem alten Schema verfiel.

Zuletzt haben die Verantwortlichen ausgiebig Bodes Modell diskutiert. Das Resultat ist jetzt zu besichtigen. Die neue Ausstellung gibt sich das Stichwort "milder Bode", offeriert mithin eine light-Version - kein reines Glück. Unmut, Verdruß erlebt man zunächst beim Rundgang. Er wird streckenweise zum rechten Wassersturz - ein Gefühl, als hätten preußische Nüchternheit und moderner Purismus nun doch noch zugeschlagen. Aus der Gemäldegalerie importiert hat man den frostigen Klinikcharme, stechendes Weiß und sterile Kahlheit der Wände. Trostlos die kostbaren Werke, davor oder daran. Verloren wirken sie im Hyperlicht, der Eiseskälte, der Stimmungstöterei. Dazu überall scheußliche Stahlträger und -konsolen.

Dürftig und karg wirken die Renaissanceräume, frostig die Byzanzsäle und kreidig der Raum des italienischen Barock. Sie strahlen nicht bloß Phantasielosigkeit aus, sie blockieren das Ausgestellte regelrecht. Das führt zu Bodes Prinzip zurück. Dessen Inszenierungen zogen Intensität aus den Formprinzipien der Renaissancekunst selbst, die sie auf sich anwandten. Was verallgemei-nerbar ist: auf daß der Aussteller kein starres Schema exekutiere, vielmehr seine Didaktik vom Objekt aus begründe! Mißlich auch modernes Asketentum, das die Exponate mickrig verteilt (so Raum 122), was gar nicht "weit und elegant" wirkt, sondern dürftig - ist das luftig Punktuelle doch keine Alternative zu wilhelminischer Überfüllung!

Zum Teufel dann mit den Minimalisten!

Statt dessen wünscht man sich: mehr Objekte, gefaßte Wände - womöglich Tapete oder Textil -, Farbwechsel, gestaltete Kompartimente, die den Werken Fassung, Kontur, Bezug ermöglichen. Zum Teufel dann mit den Minimalisten zwischen Bauhaus und Postmoderne!

Kein letztes Wort. Denn schon betritt man aufatmend die Räume 124 und 125, die eben wieder auf Bodes Prinzipien zurückgreifen. Welcher Wechsel! Gleich merkt man, wie sehr sein System greift. Weitere Säle überzeugen, wie zur Frührenaissance (129), wenn sich Raumteile, Decken, Fußböden, zur Gesamtwirkung vereinigen mit Altären, herrlichem Kirchengestühl und Pulten. Schlagende Lösungen überall da, wo Kunstwerk und Raumstruktur aufeinander bezogen sind.

Glücklich schlendert der Besucher durchs Obergeschoß, zumal durch die sämtlich farbig gefaßten Kabinette (rot, grün). Sie zeigen klar: Wo die Kuratoren überlegt zuspitzen, steigt die künstlerische Wirkung enorm. Wir erleben Elfenbeinarbeiten auf weinrotem Grund. Alabasterfiguren schimmern in raffiniert ausgeleuchteten Vitrinen. Die gestalterische Kraft überrascht nun geradezu. Eine starke Lösung reicht der anderen die Hand. Es ergeben sich ausgeklügelte Kombinationen, so im Saal der Augsburger Spätrenaissance, wo filigrane Bronzen mit einem köstlich manieristischen Brunnen zusammenstimmen, während die wuchtige Portalspolie mit riesigen Heiligenfiguren des Martin Zürn einen gewaltigen Kontrapunkt setzt.

Am Ende überwiegen Freude und Dankbarkeit, das Gelungene dominiert. Die Kunstschätze selber sprechen eh für sich. Und glanzvoll erstrahlt Bodes Spreepalast auch zu Beginn des neuen Jahrhunderts. Also: "Berlin, sei stolz!"

Das Bodemuseum in Berlin-Mitte ist täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 22 Uhr, geöffnet. Der Eintritt kostet 8 Euro.

Foto: Basilika: Bodes bürgerliche Kunstreligion imaginierte Italien um 1500

Foto: Außenansicht Bodemuseum, Saal mit Skulpturen der Florentiner Renaissance: "Könnte man nicht ein herrliches und harmonisches Ganzes herstellen, wenn man Statuen und Bilder in schöne Räume stellte?"


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