© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

"Buuuuh, Buuuuh"
Berlin: Frostiger Empfang für den Kaiser der Franzosen
Marcus Schmidt

Seit einigen Wochen bereist der amerikanische Historiker Mark Schneider Europa. Er kleidet sich dabei vornehmlich als Napoleon und reitet über morastige Äcker, die noch vor 200 Jahren morastige Schlachtfelder waren, um an den Siegeszug des Kaisers der Franzosen zu erinnern. Am vergangenen Sonnabend führte ihn sein von der Geschichte vorgezeichneter Weg nach Berlin. Mit dem 37 Jahre alten Übersee-Napoleon, der seinem historischen Vorbild tatsächlich sehr ähnlich sieht, waren rund 300 Darsteller in historischen Uniformen in die Hauptstadt gekommen. Neben der Kaiserlichen Garde waren etliche preußische Regimenter vertreten, die "auf der Flucht" vor den Franzosen von Tausenden Schaulustigen und Dutzenden Kameraleuten neugierig beäugt durch das Brandenburger Tor zogen.

Dann endlich, wenige Minuten nachdem die letzten Preußen das Tor passiert haben, taucht Napoleon auf seinem Schimmel auf. Doch der umjubelte Einzug gelingt nicht ganz. Anders als von den Veranstaltern wahrscheinlich erwartet, beweisen die Berliner ein feines historisches Gespür. Wie bei den Preußen brandet zunächst zwar Beifall auf. Doch mischen sich in diesen bald deutliche Buh-Rufe. Diese steigern sich noch, als Schneider eine auf französisch gehaltene Proklamation an das Volk mit den Worten "Vive la France" beendet. Die Berliner, so scheint es, sehen in dem kleinen Korsen auch heute noch vor allem den Despoten, der Deutschland einst in Not und Elend gestürzt hat.

Foto: Napoleon vor dem Brandenburger Tor: Feines Gespür


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