© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

BRIEF AUS BRÜSSEL
Keine europäischen Freunde
Andreas Mölzer

Eine von der türkischen Zeitung Milliyet veröffentlichte Umfrage stellte der EU-Reife der Türkei ein vernichtendes Zeugnis aus. Nur mehr 32 Prozent der Befragten gaben an, für eine EU-Mitgliedschaft ihres Landes zu sein, womit sich die Zustimmung der Türken in den vergangenen zwei Jahren fast halbiert hat. Gleichzeitig schnellte die Zahl der EU-Gegner in der Türkei von rund zehn Prozent im Jahr 2005 auf nunmehr 26 Prozent hoch.

Die Gründe, warum dort die EU-Begeisterung spürbar nachläßt, liegen allerdings nicht im Brüsseler Zentralismus oder dem die Bürger bevormundenden Verhalten einer abgehobenen politischen Pseudo-Elite. Vielmehr ist die wachsende Erkenntnis, daß die Türkei kein Teil Europas ist und es wohl auch nicht werden will, dafür ausschlaggebend. Schließlich weigert sich Ankara beharrlich, sich zur Schuld am Völkermord an den Armeniern zu bekennen. Als jetzt die französische Nationalversammlung einen Beschluß faßte, der die Leugnung dieses Verbrechens unter Strafe stellt, waren in der Türkei sofort Boykottdrohungen gegen französische Firmen zu vernehmen. Diese erfolgten zwar nicht von offizieller Seite, sondern vom türkischen Konsumentenverband, aber immerhin orakelte der türkische Wirtschaftsminister Ali Babacan, das französische Gesetz - dem Senat und Präsident noch zustimmen müssen - könnte Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder haben.

Wie sehr sich die Türken mentalitätsmäßig dem Orient verbunden fühlen, belegt ein anderes Detail der Umfrage. Auf die Frage, welche Länder denn zu den Freunden der Türkei zählten, nannten 71 Prozent Aserbaidschan, 47 Prozent das weit entfernte Pakistan und immerhin 29 Prozent den Nachbarn Iran. Mitgliedstaaten der EU zählen dagegen für bestenfalls ein Fünftel der Türken zu den "Freunden". Die Tatsache, daß nur sieben Prozent der Befragten der EU trauen, kommt einem Offenbarungseid gleich.

Mittlerweile versucht die Türkei-Lobby eifrig, das vorerst größte Hindernis, welches der Aufnahme Ankaras entgegensteht, aus dem Weg zu räumen. Denn das kleine EU-Mitglied Zypern hat sich erdreistet, mit einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen zu drohen, wenn die Türkei nicht ihre Häfen für zypriotische Schiffe öffnet. Doch Brüssel stellt sich nicht, wie es eigentlich zu erwarten wäre, an die Seite Nikosias, sondern an jene Ankaras und glaubt, daß sich das Problem irgendwie von selbst lösen werde. So meinte Erweiterungskommissar Olli Rehn, es gäbe noch Zeit für die Türkei, ihre Verpflichtungen zu erfüllen. Allerdings hat Ankara seine Verpflichtungen in anderen Bereichen wie beispielsweise die Beseitigung der Diskriminierung der religiösen und ethnischen Minderheiten, trotz eines von Brüssel großzügig gewährten Zeitrahmens bis heute nicht einmal ansatzweise erfüllt.

Angesichts der nicht vorhandenen Europareife der Türkei und des fehlenden Reformwillens der Regierung des islamistischen Premiers Recep Tayyip Erdoğan stellt sich die Frage, warum das EU-Politestablishment das Türkeiabenteuer zum Wohle Europas und seiner Völker nicht längst beendet hat. Zumindest drängt sich der Verdacht auf, daß es sich bei den Beitrittsverhandlungen mit Ankara um ein neues Beschäftigungsprogramm für die Brüsseler Eurokratie handelt.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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