© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Die letzten Opfer der Teilung
Berliner Mauer: Noch immer kämpfen Eigentümer um die Rückgabe ihrer Grundstücke
Klaus Peter Krause

Am 13. August 1961 begann die DDR die Mauer in Berlin als angeblichen "antifaschistischen Schutzwall" gegen den Westen hochzuziehen. In Wahrheit aber ging es darum, die Bürger auch am letzten Schlupfloch am Davonlaufen zu hindern - was diese bis dahin millionenfach getan hatten. Westdeutsche Politiker und ihre Parteien geißelten unisono den Mauer- und Grenzbau, die brutale Vorgehensweise und die Enteignungen empört als schreiendes Unrecht.

Aber als am 9. November 1989 die Mauer gefallen und am 3. Oktober 1990 die deutsche Einheit hergestellt war, sperrten sich Bund und Gesetzgeber, das nun Mögliche zu tun: die Mauergrundstücke an die Eigentümer zurückzugeben. Von Empörung über das Unrecht plötzlich keine Spur mehr. Man beließ es beim Unrecht. Damit wiederholte und bekräftigte man es. Die damalige Koalition von CDU/CSU und FDP unter Helmut Kohl eignete sich sämtliche Grundstücke für den Staat einfach selbst an, wollte sie, weil durch die Lage in Berlin wertvoll, verkaufen und sich daran fiskalisch bereichern.

Erst durch den Druck der öffentlichen Diskussion bequemte sie sich gegenüber den Eigentümern zu einem Entgegenkommen. Diese sollten ihre Grundstücke gegen ein Viertel des Verkehrswertes, also mit einem Rabatt von 75 Prozent, zurückkaufen dürfen oder drei Viertel des Verkehrswertes erhalten, wenn der Bund die Grundstücke für eigene Zwecke verwenden wollte oder an Dritte veräußerte. Hat der Bund jedoch Grundstücke vor dem 15. Februar 1992 veräußert, gehen die Eigentümer sogar ganz leer aus. So ist es im "Gesetz über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer" von 1996 festgelegt.

Die FDP hatte sich dem Rückkauf widersetzt, ist dann aber doch eingeknickt. Der Verfassungsrechtler Rupert Scholz (CDU), einst Berliner Justizsenator und Bundesverteidigungsminister, drängte jahrelang auf die Rückgabe, ebenso andere Rechtswissenschaftler. Auch der Bundesrat und die SPD-Fraktion im Bundestag mit Herta Däubler-Gmelin und Otto Schily setzten sich für die Rückgabe ein. Der Bund, so hatte einer von ihnen formuliert, dürfe nicht Nutznießer der deutschen Teilung werden. Alles vergebens. Ausgerechnet die Union, die sich stets als Partei der Eigentumsrechte und Rechtsstaatlichkeit darstellte, verweigerte diese.

Auf dem Rechtsweg gab es bisher nur Niederlagen

Viele Eigentümer haben resigniert und sich mit der Rückkaufregelung beschieden. Aber wenige andere kämpfen weiter: entweder für die Rückgabe ohne Kauf oder für 100 Prozent des Verkehrswertes. In der Tat ist die Regelung eine rechtswidrige Zumutung. Die rechtliche Beurteilung lautet kurzgefaßt: Der Mauerbau war rechtswidrig, weil ganz Berlin unter der Vier-Mächte-Verantwortung stand und sich das SED-Regime darüber nicht hat hinwegsetzen dürfen.

Erst im Vertrag vom 12. September 1990 haben die vier Siegermächte ihre Rechte und Verantwortlichkeiten in und für Berlin beendet. Die Enteignung der Grundstücke verstieß gegen den entmilitarisierten Status der Stadt; sie war (und ist) daher nichtig. Zudem gibt es den Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts von 1974, wonach Enteignungen, deren Zweck entfallen ist, rückgängig gemacht werden müssen. Da das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen keine Lösung für die Mauerfälle enthält, gelten für sie die allgemeinen Enteignungsregeln, also auch dieser Grundsatz von 1974.

Der Grundsatz hatte Geltung auch in Ost-Berlin. Denn mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 war Groß-Berlin, also damals die vier Sektoren der Besatzungsmächte, also auch das sowjetisch-besetzte Ost-Berlin, ein Land der Bundesrepublik (Artikel 23). Damit beanspruchte das Grundgesetz, daß es dort ebenfalls galt. Folglich regelte nicht erst der Vertrag zur deutschen Einheit, daß Ost-Berlin dem Grundgesetz unterstand, sondern es unterstand ihm längst. So befand es das Verfassungsgericht 1973 in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag von 1972. Damit genossen die Eigentümer der Mauergrundstücke auch den Eigentumsschutz des Grundgesetzes (Artikel 14) schon beim Mauerbau 1961. Auch alle anderen DDR-Bürger hatten Anspruch auf den Grundgesetzschutz; nur vermochten sie ihn nicht wahrzunehmen, solange sie in der DDR lebten und die DDR bestand.

Aber nach der Wiedervereinigung wollte das Verfassungsgericht davon nichts mehr wissen. Auf dem Rechtsweg gab es bisher nur Niederlagen. Doch beim 5. BGH-Senat ist ein Verfahren (V ZR 205/05) noch anhängig, das die Wende bringen kann. Darin geht es abermals um ein Mauergrundstück und um die Feststellung, daß die Kaufverträge über Mauergrundstücke nichtig sind. In diesem Senat sitzt aber auch ein Richter mit Namen Jürgen Schmidt-Räntsch und damit ausgerechnet derjenige Mann, der vor zehn Jahren als Ministerialbeamter im Bundesjustizministerium federführend am Mauergrundstücksgesetz beteiligt war. Noch hat er sich nicht für befangen erklärt und für dieses Verfahren vertreten lassen. Schmidt-Räntsch hat im Urteil vom 16. Dezember 2005 schon eine andere Mauergrundstück-Klage abweisen helfen (V ZR 83/05), obwohl ebenfalls befangen.

Die Mauer in den Köpfen gesetzgebender Politiker

Für diese und alle weiteren Klagen holt der auf Mauergrundstücksfälle spezialisierte Anwalt Karl Alich einen neuen juristischen Pfeil aus dem Köcher. Es ist die Begründung, mit der der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg 2001 die Klage der einstigen SED-Funktionäre Egon Krenz und Heinz Keßler abgewiesen hat.

Darin hat er den Widerspruch zwischen den DDR-Gesetzen und der Praxis des DDR-Staates bei seinem Grenzregime und damit auch für die Mauergrundstücke eindeutig als kriminelles Unrecht bezeichnet. Diese Begründung bringt nach Alich diejenigen Konstrukte zu Fall, mit denen die deutschen Gerichte die Rückgabe der Mauergrundstücke bisher verweigern. Die eigentliche Mauer ist gefallen, aber in den Köpfen gesetzgebender Politiker, von Behörden und Richtern lebt sie außerhalb der obligatorischen Gedenktage als vorgeblicher "Verteidigungsschutz" der DDR weiter. Auch da muß sie endlich fallen.


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