© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

Stationen der Überlieferung

Die Erzählungen des Alten Testaments sind in einem Zeitraum von rund 1000 Jahren zunächst mündlich, später schriftlich überliefert und zusammengestellt worden. Von dem wohl ältesten Stück, dem Lied der Hanna (1. Samuel 2), und den Erzvätergeschichten spannt sich der Bogen über die Bücher der großen Propheten (Jesaja, Jeremia, Ezechiel), die Israel das Gericht ansagen, hin zu apokalyptischen Texten. So kündigt der Prophet Sacharja der "Tochter Zion" die Ankunft eines rettenden Königs an, der auf einem Esel geritten kommt.

Im Zuge des babylonischen Exils (586 - 538 v. Chr.) diente die Niederscharift der Überlieferungen der Selbstvergewisserung in der Fremde. Die Texte wurden auf Pergament festgehalten, das auf platzsparende Rollen aufgezogen wurde. Die älteste heute vorliegende Handschrift ist eine 7,5 Meter lange Rolle mit den 66 Kapiteln des Jesajabuches, die 1947 in den Qumran-Höhlen am Toten Meer entdeckt wurde.

Der griechischen Antike wurde die alttestamentliche Offenbarung durch die Septuaginta, eine griechische Übersetzung der fünf Bücher Mose aus dem 3. vorchristlichen Jahrhundert, bekannt.

Der Name Septuaginta (auch LXX, lateinisch für Siebzig) geht auf die Entstehungslegende dieser Übersetzung von Aristeas und Philon von Alexandrien zurück: Danach habe König Ptolemäus II. Philadelphos Gesandte zum Hohepriester Eleazar nach Jerusalem geschickt mit der Bitte, geeignete Männer für die Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische zur Verfügung zu stellen. Eleazar schickte daraufhin 72 Männer, sechs aus jedem der zwölf Stämme Israels, nach Alexandrien, wo der König sie empfing und auf die Insel Pharos bringen ließ. Dort übersetzten sie, in völliger Abgeschiedenheit von der Welt und voneinander, das gesamte Alte Testament in 72 Tagen und gelangten dabei, vermittels göttlicher Inspiration, zu vollkommen identischen Übersetzungen.

Vom Neuen Testament, wie es heute vorliegt, ist zwar kein "Urtext" erhalten, jedoch zahlreiche Abschriften, die mitunter im Detail voneinander abweichen. Alle seriösen Übersetzungen der Gegenwart basieren deshalb auf einer wissenschaftlichen Edition des griechischen Neuen Testaments, die anhand eines komplexen sprachwissenschaftlichen Kriterienkataloges versucht, dem Urtext so nahe wie möglich zu kommen. Ungeachtet dieser Quellenlage handelt es sich beim Neuen Testament um die am besten bezeugte Literatur der griechischen Antike überhaupt.

Im Zuge der Ausbildung des neutestamentlichen Kanons wurden die vier Evangelien an den Anfang der Bibel gestellt, obwohl sie erst nach den Briefen des Apostels Paulus entstanden sind. Damit sollte ihre unvergleichliche Würde als Träger der ureigensten Worte (verba ipsissima) Jesu herausgestellt werden. In 2. Timotheus 3,16 wird "alle Schrift" als von Gott eingegeben bezeichnet.

Durch die Lutherbibel wurden die biblischen Texte den Deutschen erstmals in weiten Kreisen zugänglich gemacht. Nach dem Reichstag zu Worms 1521 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen zu seinem Schutze auf die Wartburg verbracht, übersetzte Martin Luther - getarnt als "Junker Jörg" - in den Jahren 1521/22 das Neue Testament. In den Folgejahren begann er mit der Übersetzung des Alten Testaments (einschließlich der alttestamentlichen Apokryphen), so daß 1533 die erste Vollbibel von der Hand Luthers erscheinen konnte. Der Legende nach hat Luther mit einem Tintenfaß nach dem Satan geworfen, der ihn bei der Übersetzung der Bibel versuchen wollte. Der Fleck an der Wand von Luthers Kammer, der seinerzeit entstanden sein soll, ist bis heute zu sehen.

Die Lutherbibel hat erheblichen Anteil an der Entstehung des Frühneuhochdeutschen und einer einheitlichen deutschen Schriftsprache ("Kanzleisprache").


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