© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/06 03. November 2006

"Zeig' Rassismus die rote Karte": Der Fußball zwischen Euphorie und Ernüchterung
Ende des Sommermärchens?
Curd-Torsten Weick

Deutschland. Ein Sommermärchen"? Schon vor dem Kinostart sorgte Sönke Wortmanns Film über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft für Furore. Und erwartungsgemäß ist der Streifen über die WM-Helden nun auch Garant für ausverkaufte Kinosäle. Stürmisch haben Klinsi, Poldi, Odonkor und Co. die Kino-Hitparade erobert und scheinen auf dem besten Wege, den schwarz-rot-goldenen Taumel am Leben zu erhalten. Doch schon der Gang aus dem Kinosaal in irgendeine Bundesliga-Arena läßt die Euphorie schnell wieder verblassen.

"Zeig' Rassismus die rote Karte" heißt es nun in den Fußballstadien. Entsprechend wurden in einer Aktion des antirassistischen FARE ("Fußball gegen Rassismus in Europa")-Netzwerkes, an der sich zum erstenmal auch der DFB und die Deutsche Fußball Liga beteiligten, 800.000 rote Karten mit entsprechender Aufschrift verteilt. Die Zuschauer wurden aufgefordert, diese gemeinsam in die Höhe zu halten. Parallel dazu zeigten auch Spieler, Stadionprogramme und die Durchsagen der Stadionsprecher dem Rassismus die rote Karte.

Die DFB-Verantwortlichen stehen unter enormem Druck

"Das Ende des deutschen Sommermärchens?" fragt daraufhin besorgt das Internetforum von tagesschau.de und erklärt: "Ausschreitungen in der Slowakei, Rassismus-Vorwürfe gegen deutsche U21-Nationalspieler, rassistische Hetze in deutschen Stadien: Nach der friedlichen WM zeigt Fußball-Deutschland wieder sein häßliches Gesicht."

Plötzlich stehen die DFB-Verantwortlichen wieder enorm unter Druck. Denn schon im Vorfeld der Fußball-WM hatte DFB-Chef Theo Zwanziger die Bekämpfung des Rassismus zur Chefsache erklärt. Und nun das. Im DFB-Pokal-Spiel des Bundesligaclubs Schalke 04 bei der Oberliga-Mannschaft von Hansa Rostock mußte Nationalspieler Gerald Asamoah rassistische Pöbeleien über sich ergehen lassen. Auch Adebowale Ogungbur vom Oberligaclub Sachsen Leipzig sah sich jüngst zum zweitenmal menschenunwürdigen Affengeräuschen der Anhänger des Halleschen FC ausgesetzt. Als Höhepunkt der Entwicklung gilt der Abbruch des Berliner Kreisligaspiels zwischen den zweiten Mannschaften des VSG Altglienicke und des TuS Makkabi. Dessen zumeist jüdische Spieler sahen sich während des Spiels von einigen Zuschauern antisemitischen Schmähungen ausgesetzt, woraufhin sie das Spielfeld verließen. Die Spieler und die Trainerin des VSG, als auch der Schiedsrichter meinten dagegen, sie hätten "nichts gehört".

Der Schiedsrichter als Bauernopfer

Von rassistischen Schmähungen nichts bemerkt haben will auch der Kapitän der deutschen U21-Nationalmannschaft Stefan Kießling. Die englischen Spieler hatten nach dem EM-Spiel erklärt, "Opfer rassistischer Schmähungen durch deutsche Spieler" geworden zu sein. Doch Kießlings Mitspieler widersprachen entschieden. Zudem hatte auch hier der tschechische Schiedsrichter nichts vermerkt. Doch während UEFA-Pressesprecher William Gaillard demTagesspiegel erklärte: "Wir brauchen harte Beweise wie Ton- oder Videoaufnahmen oder eine unabhängige Zeugenaussage, sonst steht lediglich Aussage gegen Aussage. Und dann können wir kein Urteil fällen", zeigte sich das Sportgericht des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) entschiedener. Es schenkte den Aussagen der Makkabi-Verantwortlichen Glauben und verurteilte Spieler, Trainerin und Betreuer des VSG Altglienicke II zur Teilnahme an einem "Seminar gegen Rassismus" . Schiedsrichter Klaus Brüning wurde "auf Dauer gesperrt" und fühlt sich laut Neues Deutschland als Bauernopfer.

Also doch das Ende des deutschen Sommermärchens? "Völlig an den Haaren herbeigezogen", antwortet "Fency" im Tagesschau-Forum: "Also nur wegen ein paar Schlägern unser Sommermärchen zu beenden scheint mir ziemlich abstrus."

Foto: Zuschauer in Bremen: Zeichen verblassender WM-Euphorie?


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