© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

Weiter vorhalten!
Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes könnte die Opfer benachteiligen
Detlef Kühn

Derzeit arbeitet der Deutsche Bundestag mit Hochdruck an einer weiteren Novellierung des sogenannten Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom Jahre 1991. Diesmal geht es vor allem um die in Paragraph 21 Absatz 3 des Gesetzes verfügte Frist, wonach nach Ablauf von 15 Jahren die Verwendung der Stasi-Unterlagen für bestimmte bislang erlaubte Zwecke unzulässig sein soll. Diese Frist läuft zum Jahresende ab. Wie üblich reagiert die deutsche politische Klasse - vertreten durch Bundestag, Bundesrat, einschlägig tätige Wissenschaftler und Publizisten sowie nicht zuletzt die Vertreter der Opferverbände und sogar der früheren Stasi-Mitarbeiter - unsicher auf die Frage, ob man es bei der einmal getroffenen Regelung belassen soll und welche Folgen das für die politische Kultur haben könnte. Der Streit geht darum, ob ein "Schlußstrich" unter die Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit gezogen werden soll, wie sich das auf die vom Grundgesetz garantierte Meinungs-, Presse- und Forschungsfreiheit auswirkt und ob die Stasi-Unterlagen weiterhin unter der Obhut der Gauck-Birthler-Behörde bleiben oder dem Bundesarchiv zugeordnet werden sollen. Das alles sind wichtige Fragen, die man aber auch schon früher hätte entscheiden können. Jetzt steht der Gesetzgeber wieder einmal unter Zeitdruck, was erfahrungsgemäß der Qualität seiner Arbeit nicht dienlich ist.

Das geltende Stasi-Unterlagengesetz bestimmt, daß ab 2007 die "Tatsache einer Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst" dem hauptamtlichen oder inoffiziellen Mitarbeiter "im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden" darf. Dieses, wie es in der Diskussion kurz genannt wird, "Vorhaltverbot" ist ein juristisch sehr zweifelhafter Begriff, auch wenn er bereits im Bundeszentralregistergesetz auftaucht. Eigentlich kennen Kriminalbeamte und Staatsanwälte den "Vorhalt" vor allem aus der Verhörtechnik. Mit ihm werden Beschuldigte und Zeugen auf Unklarheiten und Widersprüche in ihren Aussagen hingewiesen. Rechtlich ist er in aller Regel erst einmal ohne besondere Bedeutung. Er stellt eine Meinungsäußerung dessen dar, der den Vorhalt macht, ist als solche aber auch durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt. Soll diese Äußerung nicht mehr zulässig sein? Der Gesetzgeber hatte seinerzeit wohl selbst Bedenken, sonst hätte er nicht die Worte "im Rechtsverkehr" eingefügt. Sie entschärfen aber das Problem nicht, denn auch im Rechtsverkehr, etwa im Streit vor Arbeitsgerichten, müssen ungenierte Meinungsäußerungen auch weiterhin möglich sein. Daß die ehemaligen Stasi-Mitarbeiter und ihre Interessenvertreter die Diskussion um ihre Vergangenheit beendet sehen möchten, da sie angeblich nur Vertreter eines ganz "normalen" Geheimdienstes wie jeder andere auch gewesen seien, ist nachvollziehbar. Berechtigt ist aber auch die Befürchtung ihrer früheren Opfer, sie könnten, wenn sie den Tätern nicht einmal mehr ihre Taten "vorhalten" dürften, erneut verfolgt werden - diesmal mit den Mitteln des Rechtsstaats.

Dazu darf es nicht kommen. Die Regelüberprüfung bei der Einstellung von Bewerbern im öffentlichen Dienst spielt bereits jetzt kaum noch eine Rolle, zumal einige Bundesländer von dieser Möglichkeit praktisch keinen Gebrauch machen. Richtig ist auch der Hinweis, daß sich der Staatssicherheitsdienst in der DDR nur als "Schild und Schwert" der alles beherrschenden Staatspartei SED verstand, der er sich stets unterordnete. Diskussionen, wie sie jetzt wieder geführt werden, stehen immer in der Gefahr, die wahren Machtverhältnisse in der DDR zu verschleiern. So widerwärtig die Machenschaften der Staatssicherheit auch waren, für sie war die kommunistische Führung verantwortlich und nicht der einzelne kleine Zuträger. Demokraten sollten sich auch insofern nicht dem Verdacht aussetzen, sie ließen zwar die Großen aus dem Zentralkomitee der SED laufen, hängten dafür aber die inoffiziellen Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). Bei letzteren genügt es, wenn man sie bei Bedarf, etwa wenn ihre nostalgischen Gefühle mit ihnen durchgehen sollten, an ihre Schandtaten erinnern darf.

Was bedeutet das für die Entscheidung des Gesetzgebers? Einige Volksvertreter schlagen vor, die Novellierung auf eine Verlängerung der 15-Jahre-Frist zu beschränken. Ein meßbarer Schaden wäre bei dieser pragmatischen Lösung jedenfalls nicht zu befürchten. Es bliebe vorerst alles beim alten. Allerdings wäre auch kein bestehendes Problem gelöst. Immerhin könnte man, wenn man das denn wollte, ohne Zeitdruck nach einer dauerhaften Lösung für den Umgang mit der Hinterlassenschaft des MfS suchen, die sowohl den Interessen der Opfer dieser stalinistischen Behörde als auch den Anforderungen der Verfassung gerecht würde.

Auf mittlere Sicht kommt man wohl nicht daran vorbei, die Behörde der "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" den für das Bundesarchiv geltenden Richtlinien zu unterstellen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil wäre, daß nicht länger einige privilegierte, aber letztlich doch von der Regierung abhängige Wissenschaftler den alleinigen Zugang zu den ungeschwärzten Archivalien hätten.


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