© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

"Ausdruck der Verteidigung gegenüber den Aggressoren"
Interview II: Der nationalkatholische polnische Sejm-Abgeordnete Marek Kawa über die Deutschen und das geplante Zentrum gegen Vertreibungen
Christian Rudolf / Jörg Fischer

Herr Dr. Kawa, die Gespräche von Premier Kaczyński mit der Bundeskanzlerin sollen in "freundschaftlicher Atmosphäre" abgelaufen sein. Sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen des Treffens?

Kawa: Die diplomatische Höflichkeit verlangt, von einer guten Gesprächsatmosphäre zu sprechen. Was mich gefreut hat, das war ein gewisser guter Wille der deutschen Seite in bezug auf die Gasleitung durch die Ostsee. Positiv war auch, daß die Kanzlerin sich entschieden von den Forderungen deutscher Revisionisten wie Erika Steinbach distanziert hat. Das wichtigste fehlte aber: die Kanzlerin sollte mehr Zeit aufbringen, um sich der Situation der in Deutschland lebenden Polen anzunehmen. Die Polonia, die es dort seit Jahrhunderten gibt, hatte früher sogar Abgeordnete im Reichstag. Wir wollen, daß die Privilegien, die die deutsche Minderheit in Polen hat, in ähnlicher Weise auch in Deutschland gelten.

In Ihrem schlesischen Wahlkreis 21 stellt die Liste der deutschen Minderheit in Koalition mit der postkommunistischen SLD die Lokalregierung. Was stört Sie daran?

Kawa: Ich würde der deutschen Minderheit hier im Oppelner Land bessere Vertreter wünschen. Ich bedaure, daß diese Generation sich an der Macht festkrallt und sie nicht der jüngeren Generation überlassen will. Sie sollten gute Möglichkeiten haben, Investoren hierher ins Oppelner Land zu ziehen, aber davon bemerke ich nichts! Warum investiert Siemens nicht in der Oppelner Wojewodschaft? Aber sie investieren in Warschau, Krakau oder Posen, wo es keine deutsche Minderheit gibt. Im Vergleich mit den benachbarten Wojewodschaften liegt unsere Region am grauen Ende.

Was schätzen Sie an den Deutschen?

Kawa: Ihren Einfallsreichtum, aber der ist nur auf die eigene Gemeinde bezogen, etwa wenn es um neue Wasserleitungen geht. Das überträgt sich nicht auf die ganze Region. Deshalb wandern die jungen Leute aus, nach Deutschland, nach Holland. Dadurch fallen die Familien auseinander. Der junge Mensch weiß nicht mehr, wo sein Platz im Leben ist.

Ihre Partei kritisiert das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen, weil dort auch von Polen begangene Verbrechen an Deutschen dargestellt werden. Warum?

Kawa: Es wird in Polen immer Empörung auslösen, denn diese Verbrechen wurden nicht von Polen begangen, sondern von den Sowjets, den Russen. Und wenn es Verbrechen gab, dann war das Ausdruck der Verteidigung gegenüber den Aggressoren, denn Deutschland hat Polen überfallen. Später waren das sowjetische, kommunistische Repressionen, die genau so die hiesige deutsche wie die polnische Bevölkerung betrafen. Es ist nicht so, daß das durch Polen als Volk akzeptiert wurde. Das sind delikate geschichtliche Angelegenheiten. Man sollte vorsichtig sein mit solchen Interpretationen. So ein Zentrum gerade in Berlin wäre dann richtig, wenn es nicht von Ansprüche erhebenden Kreisen gestaltet würde.

Was fordern Sie statt dessen?

Kawa: Besser wäre ein Zentrum mit anderem Namen und nicht unter dem Gesichtspunkt von Aussiedlungen. Polen hätte mehr Gründe, solch ein Zentrum zu gründen, denn Polen wurden ausgesiedelt von hier und von da. Ein europäisches Zentrum, das wäre die beste Idee. Ein Zentrum, das nicht nur das Volk betrifft, das faktisch den vollen Preis bezahlen mußte für sein Verhalten in der Geschichte, das dann später ausgesiedelt wurde - ausgesiedelt durch die Kommunisten und die Staaten, die in Jalta und Potsdam übereinkamen. Die Ausstellung habe ich nicht gesehen, aber sie ist kontrovers dadurch, daß sie von deutschen Revisionistenkreisen finanziert und mitorganisiert wird. Besser wäre es, wenn ein künftiges Zentrum in Brüssel oder in einem anderen europäischen Staat eingerichtet würde.

 

Dr. Marek Kawa, Jahrgang 1975, Universitätsdozent, war früher Funktionär in der "Allpolnischen Jugend". Seit 2005 ist er Sejm-Abgeordneter der nationalkatholischen Partei LPR.

 

Verbliebene Deutsche Minderheit in Polen

Die Republik Polen hat laut Volkszählung (2002) 38 Millionen Einwohner. 471.500 Personen (1,23 %) geben eine andere Nationalität als die polnische an. Die größte Minderheit sind die Deutschen (153.000 Personen), gefolgt von 49.000 Weißrussen und 31.000 Ukrainern. 173.000 Menschen deklarieren sich als Schlesier. Große Unsicherheiten birgt die Statistik dadurch, daß 775.000 Personen (2,03 %) die Rubrik "Nationalität" nicht ausgefüllt haben. 90 % der deutschen Minderheit konzentriert sich auf die Wojewodschaft Oppeln. Die übrigen heimatverbliebenen Deutschen siedeln verstreut auf dem Gebiet der ehemals deutschen Provinzen mit einem Schwerpunkt in den Wojewodschaften Schlesien und Ermland-Masuren. Die Interessen der deutschen Minderheit werden im Warschauer Sejm von zwei und in der Wojewodschaft Oppeln von sieben Abgeordneten vertreten.

 

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