© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Unzufriedenheit
Karl Heinzen

Dem ARD-"Deutschlandtrend" zufolge sind knapp mehr als die Hälfte der Bürger unzufrieden mit der real existierenden Demokratie der Bundesrepublik. Da der politischen Ordnung unseres Landes zumindest in dieser demoskopischen Erhebung wohl noch nie ein derartig schlechtes Attest ausgestellt wurde, ist die Bestürzung groß. Als beunruhigend gilt nicht zuletzt auch, daß das Umfrageergebnis eine Tendenz bestätigt, die schon bei den Wahlen der jüngsten Zeit beklagt werden mußte. Immer mehr Menschen scheinen ihr Unbehagen nicht länger nur still mit sich herumzutragen, sondern es auch durch ihre Stimm-abgabe zum Ausdruck bringen zu wollen. Extremistische Populisten der Rechten, der Linken und der Mitte punkten daher in ganz Deutschland und untergraben die einst unbestrittene Dominanz der beiden Volksparteien. In Berlin standen sogar Radikale kurz vor dem Einzug in das Abgeordnetenhaus, von denen man nur wußte, daß sie dagegen waren, und deren politische Ausrichtung ansonsten im dunkeln blieb.

Manche versuchen nun abzuwiegeln. Die Menschen, so die Schönredner, hätten ja gar nicht den Glauben an die Demokratie verloren. Sie seien nur erbost über verkrustete Verhältnisse und Politiker, denen es nicht gelänge, die relevanten Probleme endlich zu lösen. Diese Beschwichtigung vermag jedoch kaum Trost zu spenden. Im Gegenteil: Alles wäre viel übersichtlicher und viel bequemer, wenn die Bürger einfach nur sagen würden: "Jetzt reicht es aber mal mit der Demokratie! Wir alle haben der Politik schon viel zu lange hineingeredet!" Einem solchen Wunsch nach Entmündigung würden nicht wenige Verantwortliche in Parteien und Verbänden nur zu gerne entsprechen. Ihnen stellt sich auf der Grundlage ihrer eigenen praktischen Erfahrung längst nicht mehr die von den Stimmungsschwankungen der Wahlbürger abhängige Demokratie als beste Regierungsform dar. Sie präferieren statt dessen die durch sie selbst ausgeübte Herrschaft von Experten, welche in Erkenntnis der Bedürfnisse der Wirtschaft wissen, was zu tun ist, und dies ohne Rücksicht auf Wahlergebnisse auch durchsetzen. Aus ihrer Sicht bleibt die Demokratie natürlich ein hehres Ideal. Gewisse Sachzwänge würden es jedoch erforderlich machen, sich wieder von ihm zu entfernen.

Die Gründe für ihre Unzufriedenheit müssen die Bürger daher bei sich selbst suchen. Es ist ihr störrisches Beharren auf einem naiven Staatsverständnis, das den Politikern die Hände bindet. Würden sie nur etwas weniger Demokratie wagen, wäre schon viel geholfen.


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