© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/06 10. November 2006

"Die wahre Ursache der Erscheinung"
Vernunft und Glaube: Warum Albert der Große der heutigen deutschen Jugend als Vorbild dienen könnte
Manfred Müller

Beim Weltjugendtag 2005 empfahl Papst Beneditk XVI. der deutschen Jugend einen Heiligen unseres Volkes als Vorbild: Albertus Magnus. Nun hätte man erwarten können, daß die mit der Jugendseelsorge beauftragten Stellen und die katholischen Jugendverbände den Hinweis des Papstes aufgegriffen und zum Festtag dieses Heiligen (15. November) lebensnahe und mediengerechte Angebote gemacht hätten, um Jugendlichen ein Kennenlernen des bedeutenden Deutschen zu ermöglichen. Auch in diesem Jahr ist wie 2005 zu befürchten, daß diese Chance vertan wird, obwohl Albert eine faszinierende Gestalt unserer Geschichte ist. Als Albertus Teutonicus war er, der Hochschullehrer an der Sorbonne in Paris, seinen Kollegen und Schülern bekannt und bei ihnen geschätzt, auch wenn sie keineswegs alle mit seinen wissenschaftlichen Ansichten übereinstimmten. Hier könnte man ansetzen, um die Frage zu prüfen, ob dieser Albert der Deutsche auch jenem Teil der heutigen deutschen Jugend etwas zu sagen hätte, der ohne christliche Orientierung und Bindung heranwächst.

Um 1200 wurde Albert als Sohn einer Familie des niederen Adels in Lauingen (Donau) geboren. Albert von Bollstädt nannte sich der junge Schwabe, als er 1222 zum Studium nach Ober­italien (Padua und Bologna) aufbrach. Schon als Junge lebte Albert sehr naturverbunden. Diese Eigenschaft aber geht der heutigen deutschen Jugend weitgehend ab, wie jüngst eine Studie (Befragung von 2.200 Schülern) ergab. Albert streifte durch die Auen, Wiesen und Wälder, beobachtete die Pflanzen- und Tierwelt, fragte Jäger und Holzfäller nach ihren Erfahrungen mit Tieren. Er stieg in Steinbrüche und Bergwerkstollen, um schöne Steine zu suchen. Diese intensive Beobachtung der Natur behielt er sein Leben lang bei. So auch, als er als Provinzial die Dominikaner-Provinz Teutonia der Ordensregel gemäß durchwanderte, um die Konvente zu visitieren: gewaltige Fußmärsche im groben, mit Riemen gebundenen Bauernschuhen. Antwerpen, Stralsund, Riga, Straßburg, Wien und Pettau (Slowenien) umreißen in etwa die Grenzen seiner Reisen.

Nachdem Albert im Sommer 1223 vom Ordensgeneral Jordan von Sachsen in den Orden des hl. Dominikus aufgenommen worden war, wurde der hochbegabte Mönch dort schnell bekannt durch seine Gründlichkeit und Gelehrsamkeit, mit der er sich in alle damals bekannten Wissensbereiche einarbeitete. Höchst bedeutsam wurde Albert für die Entwicklung der Naturwissenschaften, die damals noch der Philosophie zugeordnet waren. Methodisch traten für ihn Beobachtung und Experiment an die Stelle von Syllogismen: "Ein logischer Schluß, der zur Sinneswahrnehmung im Widerspruch steht, ist unannehmbar. Ein Grundsatz, der mit der experimentellen Sinneswahrnehmung nicht übereinstimmt, ist in Wirklichkeit kein Grundsatz, sondern ein grundsätzlicher Fehler." Das Experiment definierte er so: "Es genügt nicht, die Beobachtung nur auf eine bestimmte Weise anzustellen. Man muß sie vielmehr unter den verschiedenen Umständen wiederholen, damit die wahre Ursache der Erscheinung mit Sicherheit ermittelt werden kann."

Thomas von Aquin gehörte zu seinen Schülern

Im Bereich der Philosophie trug Albert wesentlich zur Wiederaneignung der Antike bei, indem er das Gesamtwerk des Aristoteles kommentierte, das damals im Abendland durch arabische Vermittlung wieder bekannt wurde. Dabei suchte er einen Weg zu finden, christliche Vorstellungen mit der Lehre des Aristoteles in Einklang zu bringen, eine Synthese von Theologie (damalige Leitwissenschaft!), Philosophie und Naturwissenschaft herzustellen. Das Verhältnis von Vernunft und Glaube, über das Papst Benedikt XVI. bei seinem Bayernbesuch in der Regensburger Vorlesung sprach, beschäftigte damals auch den Mönch Albert. Als erster Deutscher erhielt er an der Pariser Sorbonne einen Lehrstuhl; dort gehörte Thomas von Aquin zu seinen Schülern. Thomas folgte einem Lehrer nach Köln, wo Albert 1248 das Generalstudium der Dominikaner einrichtete (auf das sich die heutige Universität Köln zurückführen kann). In Köln und an den späteren Orten seines Wirkens schuf Albert ein gewaltiges wissenschaftliches Werk, dessen Rang nicht dadurch gemindert wird, daß es noch so manche für das Mittelalter typische Fehler enthält.

Albert war nicht nur ein hervorragender Ordensmann und Gelehrter, er verhielt sich auch in sehr pflichtbewußter Weise als Angehöriger der Führungsschicht des Heiligen Römischen Reiches. 1260 bis 1262 leitete Albert das Bistum Regensburg, in dem völlig zerrüttete Zustände herrschten. Die Bischöfe des Reiches waren damals nicht nur geistliche Hirten, sondern auch Territorialherren. War das Amt eines Kreuzzugspredigers für die Länder deutscher Zunge (1263/64) überwiegend geistlich, so führten die zahlreichen Bitten um Schiedssprüche, die an Albert herangetragen wurden, oft in sehr weltliche Zusammenhänge. Als Friedensstifter wurde er vor allem in Köln bemüht, wo sich die Erzbischöfe und die Kölner Bürgerschaft heftig befehdeten. Dieser Aufgabe widmete sich Albert mit großer Hingabe. Köln war dem Schwaben sehr ans Herz gewachsen; mit großer Berechtigung nannte man ihn Albertus Coloniensis. Über Köln vergaß Albert nicht das Reich. Noch als Greis wollte er beim Konzil von Lyon für die Anerkennung Rudolfs von Habsburg, des rechtmäßigen deutschen Königs, eintreten. Auf der Reise dorthin ist Albert 1274 gestorben.

Albert taugt sogar zum Vorreiter der Ökologie

1931 wurde Albert, dem bereits seine Zeitgenossen Größe zuerkannten (Albertus Magnus), von der Kirche heiliggesprochen. In der damaligen politisch-ideologischen Bürgerkriegssituation nahm der deutsche Katholizismus dies dankbar auf und hob Alberts Beinamen Teutonicus hervor. Wurde doch nicht nur von fanatischen Nationalsozialisten ein Gegensatz zwischen Katholischsein und Deutschsein konstruiert, und immer noch galten so manchem die Katholiken als national unzuverlässig, ein Nachklang aus der Zeit des Kulturkampfes mit seiner Verleumdungskampagne gegen die "Ultramontanen".

So ist die damalige Überbetonung des Deutschseins von Albertus Magnus nicht verwunderlich. 1940 brachte der rheinische Schriftsteller Ludwig Mathar (1882-1958) ein Lebensbild unter dem Titel "Albert der Deutsche" heraus. Darin rühmte er Albert als "einen der größten deutschen Menschen ... Deutsch bis in die tiefsten Tiefen seiner Persönlichkeit und seines Mannestums, seines Verstandes und Gemütes, seines Denkens und Wollens".

Dagegen nannte ihn Joseph Kardinal Höffner 1979 in einer Festpredigt einen "deutschen Europäer", räumte aber ein: "Dennoch nennen wir ihn mit Recht 'Albert den Deutschen', nicht zuletzt deswegen, weil er seinem deutschen Heimatland, den Wäldern und Bergen, den Flüssen und Seen, den Pflanzen und Tieren in besonderer Weise verbunden gewesen ist." Der ausgewiesene Sozialwissenschaftler Höffner schlug in seiner Predigt einen Bogen zur Ökologie: "Wenn Albert heute miterleben müßte, wie durch Raubbau, Vergeudung und Verschmutzung die Biosphäre verdorben und die physischen Grundlagen des Lebens auf der Erde schwer geschädigt werden, wäre er wohl tief traurig."

Wer Alberts Naturell aus der intensiven Beschäftigung mit dessen Persönlichkeit kennt, könnte ergänzen: Albert würde handeln, redend und schreibend.


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