© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

"Antifa-Jugend statt preußischer Tugend"
Potsdam: Die Einweihung einer Kapelle am Bauplatz der Garnisonkirche läßt erahnen, welcher Geist das Gotteshaus bestimmen wird
Christian Rudolf

Die Versöhnungskapelle am ehemaligen Standort des Turms der Potsdamer Garnisonkirche soll nach dem Willen des Superintendenten des evangelischen Kirchenkreises Potsdam, Bertram Althausen, ein "geistiger Ort" sein, "kein politischer oder akademischer". Am 9. November nun wurde jene Kapelle, die bis zur entscheidenden Phase des Wiederaufbaus der Kirche als provisorischer Andachtsraum dienen soll, in den nüchternen Ausstellungsräumen der Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche eingeweiht. Die Ansprachen, die aus diesem Anlaß dort gehalten wurden, geben für die Zukunft allerdings Anlaß, an den Worten Althausens zu zweifeln.

Gut einhundert Besucher waren am vergangenen Donnerstag gekommen, um dem Eröffnungsgottesdienst beizuwohnen, unter ihnen zahlreiche Mitglieder der Fördergesellschaft, lokale CDU-Größen und der ehemalige Ministerpräsident Brandenburgs, Manfred Stolpe (SPD). Eine kleine Gruppe von örtlichen Linksextremisten protestierte, von der Polizei auf Abstand gehalten, auf der gegenüberliegenden Straßenseite unter der antiquiert wirkenden Losung "Antifa-Jugend statt preußischer Tugend". Hätten die Jugendlichen an der Veranstaltung teilgenommen, würden sie bemerkt haben, wie unbegründet ihre Befürchtungen vor einer Rückbesinnung auf das alte Preußen sind.

Erstmals seit 1968 wieder ein geweihter Ort

Zu Beginn der von Generalsuperintendent Hans-Ullrich Schulz und Stadtkirchenpfarrer Markus Schütte geleiteten Zeremonie wurde der hölzerne Feldaltar der Garnisonkirche (er konnte vor den Flammen des Krieges gerettet werden) wieder für eine liturgische Funktion geweiht. Auf dem schlichten Tisch, zwischen dem ebenfalls erhaltenen Altarleuchterpaar, steht nun wieder das von Karl Friedrich Schinkel gestaltete Kruzifix. Das erste Mal seit 1968, dem Jahr der Beseitigung der Kriegsruine, befindet sich an dieser Stelle wieder ein geweihter Ort. Damals wurde die Heiligkreuzgemeinde, die sich im massiven Turmstumpf eine bescheidene Kapelle eingerichtet hatte, widerrechtlich enteignet und um ihr Gotteshaus gebracht.

Welchem Zweck die neue Versöhnungskapelle dienen wird, davon gab die anschließende Predigt des angereisten Superintendenten Heinz-Joachim Lohmann, Vorsitzender des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, einen Vorgeschmack. Die "lieben Wandernden auf der Suche nach Zukunft" empfing er mit einem Rückblick auf die "Schüleraufstände in Soweto", die sich im Juni zum 30. Mal jährten. Von zwei neunten Novembern war dann die Rede, wobei der länger zurückliegende auch länger besprochen wurde. Nicht ohne Scham könnten wir denken an die Pogromnacht von 1938, und an die Verantwortung, "die nicht vergehen kann". Menschen aus anderen Kulturen sollten wir daher "als Freundinnen und Freunde, als Nachbarinnen und Nachbarn" hier freundlich empfangen und kulturelle Unterschiede friedlich austragen. Den allen Zuhörern noch präsenten Fall der Mauer 1989 handelte der Gottesmann kurz ab, um dann erneut auf die "Gewalt, die vom deutschen Volk ausgegangen" ist zu rekurrieren, die "immer mit diesem Ort verbunden" sein würde. Heute seien die Deutschen in der Realität angekommen, die mit schlecht verteilten Bildungschancen und vielen Armen und wenigen Reichen Sorgen bereite. Lobbyarbeit in eigener Sache betrieb Lohmann sodann mit dem Verweis auf den "erstarkenden Rechtsextremismus". Den in Brandenburg kann er nicht gemeint haben, denn hier ist die Zahl rechtsradikal motivierter Gewaltstraftaten rückläufig.

In den Fürbitten gedachte man des jüdischen Volkes, das "wir Christen 2000 Jahre lang verfolgt haben und aus dem wir kommen". Auch die Versöhnung zwischen den Kulturen und Religionen war den Geistlichen ein großes Anliegen. "Uns selbst" sollten wir als Unwissende sehen, "nicht als Wissende, sondern als Suchende". Auf die "Mitmenschen aus anderen Kulturen" sollten wir "zugehen", sie als Freunde sehen und so dem "Rabbiner Jesus von Nazareth" folgen. Diejenigen unter den Besuchern, die einen evangelischen Gottesdienst mitfeiern, um in der befreienden Gewißheit des christlichen Glaubens bestärkt und auf den auferstandenen Herrn hingeführt zu werden, wurden sicherlich enttäuscht. Zurück blieb der schale Geschmack der Ideologie des Multikulturalismus.

An die liturgische Veranstaltung schloß sich ein einstündiger Vortrag des anglikanischen Pfarrers Paul Oestreicher an, emeritierter Domkapitular und Vorsitzender des deutschen Versöhnungswerks der Kathedrale von Coventry. Unter dem Titel "Der 9. November als Schicksalstag der Deutschen" hörte man persönlich-menschelnde Einschätzungen zum Gang des 20. Jahrhunderts von ihm, die in Erinnerung brachten, daß er in den fünfziger Jahren bei dem Theologen Helmut Gollwitzer über Christentum und Marxismus geforscht hatte. "Viermal wurde an diesem Tag eine deutsche Welt auf ganz verschiedene Art verwandelt." Karl Liebknechts Proklamation der sozialistischen Republik gehörte dazu; den anderen, demokratischen Akteur jenes Tages, den SPD-Politiker Philipp Scheidemann, überging er. Von der "gerechten Zukunft Liebknechts und Luxemburgs" predigte der gebürtige Thüringer, die ein "Wunschtraum" blieb.

2017 soll der Wiederaufbau abgeschlossen sein

Die Pogromnacht von 1938 war ihm für einen Seitenhieb auf Luther gut: "Hatte er nicht genau das ausdrücklich empfohlen? Ein jüdisches Geschäft zu plündern, dürfe man niemandem übelnehmen." Während des Ost-West-Konflikts reiste er als Vermittler zwischen den Fronten 77 Mal in die DDR - "mit Hilfe unseres lieben Mitbürgers Manfred Stolpe". Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs habe er sich "neu erfinden" müssen. In der folgenden Diskussion über den Vortrag erneuerte Pfarrer Oestreicher noch einmal das Vergleichsverbot zwischen Nationalsozialismus und dem DDR-Regime ("das verbitte ich mir") unter Verweis auf dessen "gute Prinzipien". Solches ausgerechnet am 17. Jahrestag des Mauerfalls zu hören zu bekommen, war mehr als ärgerlich.

Der Wiederaufbau der Kirche soll vornehmlich über Spenden finanziert werden und wird schätzungsweise 65 Millionen Euro kosten. Bis 2017 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.

Foto: Das erhaltene Tor der Garnisonkirche: Auf Spenden angewiesen


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