© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

"Anklage des Regimes"
Dokumentation: Auszug aus den Lebenserinnerungen Gerhard Löwenthals
(JF)

Am 10. Dezember 1975, dem Tag der Menschenrechte, der in diesem Jahr zufällig auf einen Sendetag des ZDF-Magazins fiel, strahlten wir die ersten Hilferufe aus. Die Wirkung war brisant - die Zahl der Briefe stieg sprunghaft an. Wir versuchten, so gut es ging, unsere Pflicht zu tun und den bedrängten Menschen, die in der Veröffentlichung ihrer verzweifelten Hilferufe die einzige Chance sahen, in die Freiheit zu gelangen, durch Nennung ihrer Namen und Veröffentlichung der oft mitgeschickten Fotos zu helfen. Die Sendung wurde bald zu einer einzigen Anklage des Regimes, denn jeder einzelne Fall bewies ja, daß die Ostberliner Machthaber überhaupt nicht daran dachten, ihre in Helsinki eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen.

Unsere Veröffentlichungen wurden aber auch zum Ärgernis für die Bundesregierung, denn sie dokumentierten den Gegensatz zwischen der Entspannungseuphorie der Sozialdemokraten und der traurigen, so ganz anderen Realität. Jedenfalls begann der damalige Minister für innerdeutsche Beziehungen, Egon Franke, massiv Druck auszuüben auf das ZDF mit dem Ziel, mich mundtot zu machen. Ich lasse dahingestellt, ob er dies aus eigenem Antrieb oder nach Drohungen seiner Ostberliner 'Partner' tat. "Hilferufe von drüben" jedenfalls, jene Beiträge im ZDF-Magazin, für die ich später mit dem Bundesverdienstkreuz und mit der 'Goldenen Kamera' der Programmzeitschrift Hörzu ausgezeichnet wurde, sollten verschwinden. Meine Position war glasklar: Die Ausstrahlung der 'Hilferufe' war ein Akt der Menschlichkeit, eine zwingende Verpflichtung, für die Wahrung der Menschenrechte verfolgter Landsleute drüben einzutreten."

Gerhard Löwenthal: Ich bin geblieben, Erinnerungen; Unveränderter Nachdruck der Erstausgabe von 1987, Edition JF, Berlin 2006, 398 Seiten, gebunden, Bildtafeln mit 68 Abbildungen, 24,80 Euro


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