© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

CD: Industrial
Nebensache
Moritz Bardesch

Derniere Volonte, der "letzte Wille", ist das Musikprojekt eines Geoffroy D. aus der Nähe von Paris. Die künstlerischen Ursprünge liegen in der sogenannten Industrial-Kultur, einer Form elektronischer Musik und zugleich Konzeptkunst mit Wurzeln in der künstlerischen Avantgarde der 1920er Jahre, speziell dem Futurismus. So wie der Futurismus auch, wenn er sich musikalisch äußerte, auf das Stilmittel des Geräuschs zurückgriff, so verweben heutige Industrial-Künstler zum Zwecke der Dokumentation ihre sphärischen Klangflächen gerne mit historischen Tondokumenten, etwa um bedeutungsschwanger, aber dennoch diffus bleibend die Atmosphäre einer vergangenen Epoche nostalgisch in die heimische Stereoanlage zu zaubern.

Das so ein Verfahren oftmals den Gegenstand verklärt, liegt in der Natur der Sache, dennoch konnte man Derniere Volonte schon damals zugestehen, ihre Hörer emotional zu sensibilisieren, vielleicht eine Voraussetzung, um überhaupt eine Neugierde in geschichtlichen Dingen zu entwickeln und die Tragik manch einer historischen Konstellation verstehbar zu machen. Ihr Thema damals: Vichy-Frankreich, die Resistance, aber auch die Kollaboration, der meist ebenso patriotische Motive zu Grunde lagen.

Heute, acht Jahre nach Gründung, sind Derniere Volonte musikalisch im reinsten, kommerziell verwertbaren Elektro-Pop angekommen, in einschlägigen Gruftie-Discos sind sie der Tanzflächenfüller, ihre Verkaufszahlen ebenso beachtlich für ein Projekt ohne nennenswerte Lobby in den großen Musikmagazinen. Musikalisch erinnern sie heute an einige Helden der achtziger Jahre, allen voran OMD, vielleicht sogar an A-ha, allerdings mit stark französischer Note. Man singt in Landessprache.

Das textliche Konzept hingegen erinnert nach wie vor an die Ursprünge. Besungen wird der Wert der Kameradschaft, Einzelgängertum, Motive der Dekadenzliteratur tauchen auf, und neben eigenen Versen wird vor allem auf Pierre Drieu La Rochelle, einen der faschistischen Literaten von Rang, zurückgegriffen. In "Cœur De Legionnaire" heißt es exemplarisch: "Ich senke nicht die Blicke, ich vergieße keine Träne mehr; Ich habe mir mein Vaterland ebenso bewahrt wie Du! Heute fürchte ich nicht einmal mehr die Hölle, Ein Anarchist im Geiste und das Herz eines Legionären. Deshalb bin ich ausgezogen, um heute in der Schlacht zu fallen!"

Ebenso die Live-Inszenierung: Der großgewachsene Geoffroy D., der ein bißchen an den jungen Alain Delon erinnert, erscheint mit seinen Mitstreitern in der Regel in Uniform mitsamt Armbinde, die das Wappen des Projekts zeigt. Die Trommeln führen sehnsüchtig in eine Welt zwischen Pop und nie gehörter Marschmusik. Über allem schwebt das, was Armin Mohler "den faschistischen Stil" nannte, allerdings versetzt mit kaum zu verhehlenden sexuellen Untertönen - die aber, weil sie nicht thematisiert werden, sublimiert erscheinen.

Dieses versteckt Sexuelle bei Derniere Volonte, hat sich inzwischen richtiggehend zu einem Selbstläufer unter ihren Fans entwickelt. Die Plattenfirma bewirbt das gerade erschienene vierte Vollzeitalbum als "erotic Military Pop" und auch der Titel des Albums "Devant Le Miroir" läßt auf ein selbstironisches Aufgreifen dieses "Posterboy"-Image schließen.

Mit Geoffroy D. hat eine Musiksubkultur, die auf ihre Art ernsthaft danach sucht, tragfähige kulturelle Alternativen zur "Totalherrschaft der Gegenwart" (Botho Strauß) zu entwickeln, und dabei mitunter mit Motiven des historischen Faschismus ringt, ohne es sich zu einfach zu machen, ihren James Dean gefunden. Daß auch hier durch all das ästhetizistische Beiwerk die Musik fast zur Nebensache wird, wirkt dann schon fast beruhigend.


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