© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Fauler Zauber
Alle Jahre wieder: Mit "Scoop - Der Knüller" enttäuscht Woody Allen seine Fans
Michael Insel

Unglaublich, wie schnell die Zeit verfliegt und der alljährliche Kinostart des "neuen Woody Allen" ansteht! War es nicht erst gestern, daß Europas zweitliebster Amerikaner (nach Michael Moore) mit seinem Thriller "Match Point" Orson Welles' These zu verifizieren suchte, alle großen Künstler schüfen ihre besten Werke in ihren Zwanzigern und Siebzigern? Der Wechsel des Schauplatzes von der Manhattaner Intelligenzija zur Londoner Schickeria bekam dem zuletzt doch etwas erschlaffenden Auteur ebensogut wie die Entdeckung einer neuen Muse in der Nachwuchshoffnung Scarlett Johansson.

Allens jüngstes Werk, eine sporadisch unterhaltsame Krimikomödie, die ansonsten an Allens weit eleganteres "Manhattan Murder Mystery" (1993) erinnert, behält sowohl den neuen Drehort wie die Hauptdarstellerin (sowie Kameramann Remi Adefarasin) bei. Statt der frischen Brise, die "Match Point" durchwehte, schlägt dem Publikum jedoch der muffige Geruch enttäuschter Erwartung entgegen.

"Scoop" beginnt vielversprechend genug und baut zunächst durchaus erzählerische Spannung auf. Wie schon in früheren Filmen des Bergman-besessenen New Yorkers hat der Sensenmann einen Gastauftritt - diesmal schifft er den soeben verstorbenen investigativen Journalisten Joe Strombel (Ian McShane) über den Styx. Selbst im Tod wittert der eingefleischte Reporter noch eine Story, befragt eine Reisegefährtin über die Umstände ihres plötzlichen Ablebens und ist überzeugt, das Geheimnis des "Tarotkarten-Mörders" gelüftet zu haben. In seiner Aufregung ob dieses Jahrhundertknüllers heuert er vom Totenschiff ab.

Indes wartet in London eine junge Amerikanerin (Scarlett Johansson in biederen Klamotten und einer unvorteilhaften Brille) auf ihre "Entmaterialisierung" durch den Magier Sid Waterman alias Splendini, eine Rolle, die Woody Allen sichtlich Vergnügen bereitet. Abrakadabra erscheint der leichtgläubigen Sondra Pransky statt dessen Strombel und enthüllt die Identität des Serienmörders, der die Straßen der britischen Metropole unsicher macht: Es handle sich um Peter Lyman (Hugh Jackman), der bei keinem angesagten Event fehlen darf.

Heiße Tips wie dieser fallen einer Journalistikstudentin, die noch nicht einmal von Jack the Ripper gehört hat, selten in den Schoß. Was bleibt ihr anderes übrig, als den widerwilligen Splendini zu rekrutieren, der einzig um einen Witz nie verlegen ist. Die Verbrecherjagd führt das linkische Zweigespann von einer exklusiven Party zur nächsten und schließlich in einen Herrenclub - reichlich Gelegenheit für Woody Allen, sein ganzes komödiantisches Talent spielen zu lassen. Wie beim Wiedersehen mit einem alten Freund hat man alle Kalauer schon tausendmal gehört, muß aber doch ab und an lachen. So richtet sich die Aufmerksamkeit unwillkürlich auf die Handlung - und siehe da, bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Rätsel um den Mörder als ähnlicher Hokuspokus wie Splendinis Bühnenakt: ganz nett, aber allzu leicht durchschaubar.

Angesichts der Schau, die Allen abzieht - glücklicherweise hat er sich diesmal die Rolle eines väterlichen Clowns zugedacht und nicht die des glühenden Liebhabers -, müssen die übrigen Darsteller gegen ein Drehbuch anspielen, dem sie nur als Rädchen im ächzenden Getriebe dienen. Hugh Jackman vermag als gewiefter Frauenheld zu überzeugen - zugegebenermaßen keine große Herausforderung für den gutaussehenden Australier, der seine schauspielerischen Fähigkeiten längst in weit besseren Filmen wie als "Trucker mit Herz" in Anthony J. Bowmans gleichnamiger Komödie (1999) oder Wolverine in der "X-Men"-Serie unter Beweis gestellt hat. Charles Dance glänzt in einer Nebenrolle als Redakteur, während McShane, der Star der großartigen HBO-Serie "Deadwood", auch hier die wenigen Szenen bereichert, in denen er auftritt. Lediglich Johanssons Rolle hat etwas mehr Substanz - um so bedauerlicher, daß sie denselben Fehler begeht wie andere Hauptdarsteller in Allens Filmen, etwa Edward Norton ("Alle sagen: I love you", 1996) oder Kenneth Branagh ("Celebrity", 1998) und sich als Allen-Imitatorin versucht.

Vielleicht wird der nächste "neue Woody Allen", der ebenfalls in London spielen soll, Welles' Diktum bestätigen - dieses Jahr muß sein treues Publikum mit einer netten Ablenkung vorliebnehmen, allenfalls ein Abglanz früherer Triumphe.

 

Nach der Entzauberung

So lustlos Woody Allens jüngstes Kaninchen aus dem Hut hüpft - ein anderer Illusionskünstler vermag den Glauben an die Magie der Leinwand zu erneuern: In Christopher Nolans "The Prestige" (deutscher Kinostart: 7. Januar 2007) stehen "Scoop"-Stars Hugh Jackman und Scarlett Johansson wieder gemeinsam vor der Kamera, er als aalglatter amerikanischer Zauberkünstler im viktorianischen London, sie als seine Assistentin. Nicht ohne Tricks und doppelte Böden erzählt Nolan von der Rivalität und späteren Todfeindschaft zwischen zwei Meistern des Gewerbes.


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