© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 47/06 17. November 2006

Pressefreiheit: Die "Cicero"-Durchsuchung auf dem Prüfstand
"Da gehen wir rein"
Ronald Gläser

Nachdem die Staatsanwaltschaft 2005 acht Stunden lang die Räume des Cicero-Mitarbeiters Bruno Schirra durchsucht hatte, zog sie mit fünfzehn Umzugskartons ab.

Diese Camouflage diente nicht nur dem Abtransport angeblich relevanter Unterlagen. Sondern auf diese Art und Weise sollten die Nachbarn in Unkenntnis darüber gehalten werden, daß hier ein staatlicher Übergriff gegen einen mißliebigen Journalisten stattgefunden hat.

Schirras "Vergehen" war, daß er ein Porträt des inzwischen von US-Streitkräften getöteten irakischen Topterroristen Abu Mussab al-Sarkawi verfaßt hatte. Er bezog seine Informationen über den meistgesuchten Mann nach Osama bin Laden auch aus vertraulichen Unterlagen des Bundeskriminalamtes (BKA). Der Fall Cicero sorgte für weltweite Schlagzeilen, nicht zuletzt auch deshalb, weil der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) das Vorgehen der Behörden bei einer Tagung des Bundes der deutschen Zeitungsverleger aufbrausend verteidigte.

Das schlimmste an solchen Aktionen ist, daß das Opfer der Durchsuchungsaktion hinterher ohne sein "Werkzeug" dastand. Computer, Festplatten, CDs - alles war beschlagnahmt. Erst Monate später erhielt der Geschädigte die Sachen zurück, nachdem sie in der Asservatenkammer vor sich hin rotteten. Wenn überhaupt.

Im Anschluß mehrten sich die Stimmen, die die Pressefreiheit auf diese Art und Weise immer stärker eingeschränkt sehen. Der Intendant des Deutschlandfunks Ernst Ehlitz zum Beispiel. Er klagt: "Die Zahl der Kollegen, denen das passiert, nimmt zu." Der Fall Cicero ist der bekannteste, aber längst nicht der einzige Vorgang dieser Art in den letzten Jahren.

Beispiel Stuttgarter Nachrichten: Die Tageszeitung ist an Unterlagen über das Ermittlungsverfahren gegen Peter Voß gelangt. Wie, ist nicht bekannt - spielt aber auch keine Rolle. Tatsache ist: Gegen den Südwestrundfunk (SWR)-Chef Voß lief ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft, weil er einen Empfang mit rund 150 prominenten Personen zu seinem 60. Geburtstag in einem Hotel namens "Bühler Höhe" gegeben hatte. Für diese Party (im Jahr 2001) mußte der Gebührenzahler aufkommen.

Was dann - im Jahr 2005 - geschah, schilderte Jürgen Offenbach, der Chefredakteur der Stuttgarter Nachrichten: "Wir haben das herausgekriegt und veröffentlicht. Das hat der Staatsanwaltschaft Baden-Baden nicht gefallen. Also haben wir unser eigenes Ermittlungsverfahren wegen Geheimnisverrats bekommen."

Mit Razzien und Überwachungsmaßnahmen sollten seine Mitarbeiter eingeschüchtert und verunsichert werden, ist sich Offenbach sicher. Daß an dem Vorwurf nichts dran war, zeigte sich ein knappes Jahr später, als das Verfahren eingestellt wurde.

Zur Zeit arbeitet die Opposition in Berlin an einem neuen Gesetzesentwurf, damit sich so etwas wie "Cicero" nicht wiederholt. Regierungsvertreter stehen in der Regel auf dem Standpunkt, daß der Geheimnisverrat zu bestrafen und zugleich höher einzuschätzen ist als die Pressefreiheit. Die Oppositionsparteien - insbesondere FDP und Grüne - stehen dagegen eher auf der Seite der Medien. Für Jerzy Montag, den rechtspolitischen Sprecher der Grünen-Bundestagesfraktion, ist der Informant die "Schnittstelle zwischen Straffreiheit (als unverzichtbarer Teil der Pressefreiheit) und der Straftat (weil jemand sein Dienstgeheimnis verletzt hat)". Die Grünen wollen Beihilfe und Anstiftung zum Geheimnisverrat straffrei halten.

Die Unterstellung, derjenige, der etwas veröffentlicht, habe zwangsläufig auch am (zuvor stattgefundenen) Geheimnisverrat mitgewirkt, findet Montag falsch. Statt dessen sagt er sehr deutlich: "Das hat der Gesetzgeber nie gewollt. Das ist Mißbrauch. Das wollen wir abschaffen." Der Verrat eines Dienstgeheimnisses sei nur noch für denjenigen eine Straftat, der es selbst verrate.

Bis das Gesetz kommt, wird bestenfalls noch viel Zeit vergehen. Wahrscheinlich kommt es nie. Spätestens wenn Grüne und FDP wieder in der Regierung sind, dann sind die guten Vorsätze aus der Oppositionszeit vergessen.

Etliche Methoden der Einschüchterung

Aber am 22. November verhandelt das Bundesverfassungsgericht (BVG) über die "Causa Cicero". Wird das höchste deutsche Gericht diese Durchsuchung für ungültig erklären - im Interesse der Pressefreiheit in Deutschland?

Mit einem Urteil, das die Durchsuchung der Räume von Schirra rückwirkend für ungültig erklärt, wäre noch längst kein Idealzustand hergestellt. Es gibt noch etliche andere Methoden der Einschüchterung und Drangsalierung. Deswegen reicht ein symbolisches Urteil nicht aus: Es muß Konsequenzen geben für Richter und Staatsanwälte, die leichtfertig entscheiden, "da gehen wir rein".

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe muß hohe Hürden aufbauen, weil sonst jeder regierungskritische Journalist zur beliebten Zielscheibe der Staatsorgane werden könnte.


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