© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Gegenwind von der Parteibasis
Mecklenburg-Vorpommern: In der CDU steigt der Unmut über die Koalitionsvereinbarungen mit der SPD / Kosten für G8-Gipfel explodieren
Christian Anders

Ähnlich geräuschlos und harmonisch wie der Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern verliefen die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und CDU. Diese Harmonie spiegelte sich auch am 7. November bei der Wahl des Ministerpräsidenten wider: Harald Ringstorff (SPD) erhielt lediglich drei Stimmen weniger, als die Fraktionen der Großen Koalition Parlamentarier haben. An der CDU-Parteibasis indes knirscht es.

Die Kritik vieler CDU-Anhänger richtet sich vor allem gegen ihren Landeschef Jürgen Seidel. Schon im Wahlkampf erschien er vielen Beobachtern als zu kompromißbereit. Diese Kompromißbereitschaft hatte einen Grund. Ein Wahlergebnis, das eine christdemokratische Regierungsbeteiligung ohne die Sozialdemokraten hätte ermöglichen können, erschien illusorisch.

Nach dem Wahlabend machte die knappe Mehrheit für die einstige dunkelrote Regierungskoalition es den Sozialdemokraten einfach, sich mit der Aufnahme von Verhandlungen mit der CDU gegen ihre alten Regierungspartner, die Linkspartei, zu entscheiden.

Trotz dieser für sie komfortablen Situation hätten die christdemokratischen Verhandlungsführer in den Augen vieler ihrer Anhänger zu viele eigene Positionen für die Regierungsbeteiligung aufgegeben: Im Wahlkampf hatte die Union noch eine generelle Kostenbefreiung für Kindertagesstätten gefordert - hierfür wurden 70 Millionen Euro pro Jahr in Aussicht gestellt. Der mit den Sozialdemokraten gefundene Kompromiß sieht nun hingegen nur eine gestaffelte Entlastung für das letzte Vorschuljahr vor - lediglich bis zu 8,5 Millionen Euro pro Jahr sollen hierfür zur Verfügung gestellt werden.

In bezug auf die Verwaltungs- und Kreisgebietsreform einigten sich die Verhandlungspartner darauf, den Entscheid über die derzeit noch anhängige CDU-Klage vor dem Landesverfassungsgericht in Greifswald abzuwarten.

Umsetzen müßte das rot-rote Prestigeprojekt Verwaltungsreform Innenminister Lorenz Caffier (CDU). Beobachter sehen in der CDU-Besetzung des Innenministerpostens einen geschickten Schachzug des SPD-Verhandlungsführers Ringstorff, der den koalitionsinterne Widerstand gegen die Umsetzung der Reform auf diese Weise gering halten wird.

Davon abgesehen können die Christdemokraten bei der Besetzung der Ministerposten jedoch noch am ehesten als Gewinner der Koalitionsverhandlungen gelten. Immerhin konnte die CDU die gewünschte Verkleinerung des Kabinetts auf acht statt der bisher neun Ministerien erwirken. Zudem fallen der CDU wichtige Ressorts wie das Wirtschafts-, Bildungs- oder Innenministerium zu. Beide Parteien stellen in Zukunft jeweils vier Minister - die SPD bekleidet zusätzlich den Ministerpräsidentenposten. Selbst hier lohnt sich jedoch ein Blick in das Kleingedruckte des Koalitionsvertrages.

Der stellvertretende Ministerpräsident der neuen Landesregierung, Jürgen Seidel, ist zugleich neuer Chef der zusammengelegten Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus. Die für das Ressort wichtigen EU-Strukturfördermittel werden in Zukunft allerdings nicht mehr wie bisher nur vom Wirtschafts- und Arbeitsministerium, sondern auch von der Staatskanzlei verwaltet. Das bedeutet vor allem eines: Bevor Seidel als neuer Superminister die millionenschweren EU-Fördermittel zum Einsatz bringen kann, bedarf es der Zustimmung des Ministerpräsidenten Ringstorff.

Auch viele Sozialdemokraten sind unzufrieden

Insgesamt sei die Handschrift der CDU in den Koalitionsverhandlungen kaum mehr zu erkennen, ätzte die Junge Union. Um jeden Preis sei es um die Verteilung von Kabinettsposten gegangen. Auf ungeteilte Gegenliebe stießen die Koalitionsvereinbarungen indes auch bei der sozialdemokratischen Basis nicht: SPD-Chef Till Backhaus sprach gar von einem "Sturm in Teilen der Partei". Anlaß für die Entrüstung an der SPD-Basis ist unter anderem, daß das Bildungs- und das Innenministerium zukünftig von der CDU geleitet werden. Ob jedoch die Befürchtung gerechtfertigt ist, daß damit zwangsläufig weniger sozialdemokratische Positionen umgesetzt werden als bisher, bliebe in den Augen so mancher Kritiker der CDU-Verhandlungsführung sicherlich abzuwarten.

Ungemach droht der Landeregierung jenseits aller Koalitionsarithmetik derweil von ganz anderer Seite. Der G8-Gipfel, für den im kommenden Jahr die Großen dieser Welt ins mondäne Ostseebad Heiligendamm reisen, entwickelt sich immer mehr zu einem finanziellen Desaster. Die veranschlagten Kosten sind von ursprünglich 46 Millionen auf 92 Millionen Euro gestiegen. Wenig Freude bereitet Ringstorff und Seidel der Anteil, den das Land aufbringen muß. Waren im Koalitionsvertrag noch zehn Millionen Euro festgeschrieben, ist nun von 34 Millionen Euro die Rede. Papier ist bekanntlich geduldig.


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