© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Ein Prophet des Kapitalismus
Am 16. November starb Milton Friedman / Mit seiner "monetaristischen" Theorie kämpfte er gegen den Keynesianismus
Hans-Peter Müller

Während drinnen in festlichem Rahmen der Nobelpreis an den Wirtschaftsprofessor aus Chicago verliehen wurde, tobte draußen eine linke Demonstration von mehr als 4.000 Menschen. Das war 1976 in Stockholm. Milton Friedman wurde geehrt für seine geldtheoretischen Arbeiten, der Protest richtete sich gegen seine angebliche "Beratung" der chilenischen Junta von Augusto Pinochet. Dabei hatte Friedman dem General in einem halbstündigen Gespräch nur gesagt, was er jedem sagte, der es hören wollte: Inflation ist immer und überall ein monetäres Phänomen. Will man die Geldentwertung stoppen, so muß die Zentralbank das Geldmengenwachstum bremsen. Die chilenischen "Chicago Boys" verstanden die Botschaft. Mit drastischen Kürzungen reduzierten sie die von Allende geerbte Hyperinflation von mehreren hundert Prozent jährlich auf knapp zehn Prozent gegen Ende des Jahrzehnts.

Zu lockere Geldpolitik destabilisiert die Wirtschaft

Im Zentrum des Monetarismus steht die Erkenntnis, daß Geld eine wichtige, eine sehr wichtige Rolle im ökonomischen Prozeß spielt ("Money matters"). Eine zu lockere Geldpolitik des Staates destabilisiere die Wirtschaft und führe zu Inflation, so das Credo der Monetaristen. Um das zu verhindern, forderte Friedman eine feste, restriktive Geldmengenregel. Damit trat er gegen die herrschende keynesianische Lehrmeinung an, welche die Geldpolitik als eher sekundär betrachtete und ihr, wenn überhaupt, eine stimulierende Wirkung zusprach. Durch niedrige Leitzinsen könne die gesamtwirtschaftliche Nachfrage angeregt und so Konjunktur und Wachstum gefördert werden, so die gängige Meinung keynesianischer Ökonomen und Politiker. Fast im Alleingang hat Friedman ab den fünfziger Jahren den Keynesianismus entthront. Einer der Höhepunkte der Auseinandersetzung war seine Rede 1967 als Präsident der American Economic Association mit seiner Widerlegung der Phillips-Kurve (der Behauptung eines "trade-off" zwischen Inflation oder Arbeitslosigkeit).

Der Aufstieg Milton Friedmans zu einem der bekanntesten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts vollzog sich wie im amerikanischen Bilderbuch. Seine Eltern waren aus einem kleinen bessarabischen Ort, damals der Donaumonarchie zugehörig, nach New York ausgewandert. Die Eltern sprachen jiddischen Dialekt. Als Milton 15 Jahre alt war, starb der Vater, ein wenig erfolgreicher Kaufmann, ein Jahr später begann Friedman ein Mathematik-Studium an der Rutgers-Universität, später wechselte er zur Wirtschaftswissenschaft nach Chicago. Während des Krieges war er bei statistisch-ökonomischen Projekten für die Regierung angestellt, 1946 erhielt er eine Professur an der Wirtschaftsfakultät, wo er dann mehr als dreißig Jahre lehrte. Wer heute Chicago sagt, meint jene marktwirtschaftliche neoklassische Denkschule, die Friedman dort nach dem Krieg entscheidend prägte. Auch seine Gegner mußten eingestehen, daß er ein brillanter Ökonom und Statistiker war.

Mit empirisch gut abgesicherten Studien zur Konsumfunktion und zur Geldnachfrage attackierte Friedman die Hauptsäulen des Theoriegebäudes von John Maynard Keynes und - wie seine Anhänger heute resümieren - brachte es zum Einstürzen. Innerhalb der neoliberalen Wirtschaftswissenschaft, zu deren herausragenden Vertretern neben Friedman vor allem Friedrich August von Hayek zählte, waren seine "positive" Methode und seine geldpolitischen Empfehlungen jedoch nicht unumstritten. Während Friedman strikte Geldmengenziele als geeigneten Schutz gegen Inflation ansah, blieben viele Liberale mißtrauisch gegenüber dem staatlichen Papiergeld ("fiat money"). Hayek forderte zuletzt die "Entnationalisierung" des Geldes, viele Anhänger des liberalen Altmeisters Ludwig von Mises sehen bis heute den Goldstandard als einzige echte Sicherung gegen staatliche Manipulation des Geldes. Auch die D-Mark, angeblich eine so harte Währung, hat in den fünfzig Jahren ihres Bestehens mehr als achtzig Prozent ihres Wertes eingebüßt.

Gegen Vorzugsbehandlung für Minderheiten

Das Lob der Marktwirtschaft, das Friedman in Büchern wie "Capitalism and Freedom" oder "Free to Choose" sang, leitete in den achtziger Jahren die Regierung des Republikaners Ronald Reagan an. Auch die Berater von Margaret Thatcher holten sich Ideen aus Chicago. In einzelnen politische Fragen vertrat Friedman liberale Positionen, die eher der Linken zugeordnet werden: So warb er während des Vietnamkriegs engagiert für eine Abschaffung der Wehrpflicht und setzte sich lange Jahre für eine Freigabe selbst von harten Drogen ein. Letzeres begründete er damit, daß man schließlich dem Alkohol- und Tabakkonsum auch nicht Herr würde. Jedoch sprach er sich gegen das linke Lieblingsprojekt einer Vorzugsbehandlung für Minderheiten (affirmative action) aus, da der Kapitalismus "farbenblind" sei. Bei der Reform des Wohlfahrtsstaates mahnte Friedman, alle Sachleistungen in Geldleistungen umzuwandeln, um auch Sozialempfängern mehr Wahlfreiheit zu lassen. Statt der starren Lohnersatzleistungen propagierte er - mit teilweisem Erfolg - das Konzept einer negativen Einkommensteuer, die auch für Geringqualifizierte noch Arbeitsanreize beläßt.

Selbständigkeit und Eigenverantwortung waren die Leitmotive der Philosophie, die Friedman in vielen Büchern predigte und als akademischer Lehrer vorlebte. Ein faszinierender, streitbarer Ökonom, der letzte Große des zwanzigsten Jahrhunderts, ist nun für immer verstummt.

Foto: Schwedens König Carl Gustaf gratuliert Milton Friedman zum Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, Stockholm 1976: Der Kopf der "Chicago School" starb vergangene Woche 94jährig


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