© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/06 24. November 2006

Korrektiv ewiggültiger Wahrheiten
Die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt blickt auf 25 Jahre Tätigkeit zurück
Christian Rudolf

Der Begriff Revision bedeutet soviel wie "nochmalige Durchsicht, Nachprüfung, Änderung" (lat.: revidere - wieder ansehen). Seit nunmehr 25 Jahren gehen die Mitarbeiter der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt (ZFI, Ortsstraße 5, 85110 Kipfenberg) die jüngere deutsche Geschichte noch einmal durch, klopfen ab, haken nach, ziehen in Zweifel und korrigieren scheinbar ewiggültige Wahrheiten, die es in der Wissenschaft nicht geben kann. "Ohne die laufende Überprüfung von Forschungsergebnissen stagniert die Geschichte."

Aus Anlaß des runden Jubiläums lud die ZFI am 11. November zu ihrer jährlichen Herbsttagung nach Ingolstadt, um Rückschau zu halten. Vor vollem Hause sprach Franz Seidler, emeritierter Sozial- und Militärhistoriker der Bundeswehruniversität München, über die Genesis der Forschungsstelle, an deren Anfang vor einem Vierteljahrhundert ein Aufsatz in der FAZ stand. Alfred Schickel hatte am 16. Januar 1980 zur Feder gegriffen und seinem zornigen Unmut über die einseitigen Arbeitsergebnisse des diskursbeherrschenden Instituts für Zeitgeschichte Luft gemacht. Nach dem Studium hatte er zwanzig Jahre lang die Zeitgeschichtsforschung beobachtet und war tief unglücklich darüber, daß das Zeitalter der Weltkriege ausschließlich zu Lasten Deutschlands beschrieben wurde. In seiner Wahrheitsliebe als katholischer Christ gekränkt, wollte er im Umgang mit der Vergangenheit keine Halbwahrheiten und Manipulationen dulden.

Zusammen mit dem Historikerkollegen Hellmut Diwald gründete er daher am 21. November 1981 die Zeitgeschichtliche Forschungsstelle Ingolstadt. Der Vereinssatzung stellten sie als obersten Grundsatz die "Verpflichtung zur Erhellung der jüngeren Geschichte auf Grundlage streng wissenschaftlicher Verarbeitung von Urkunden und Originaldokumenten" voran. Mühevolle Arbeit in Archiven folgte. Finanziell und personell ungleich schlechter ausgestattet als das mit staatlichen Geldern üppig versehene Institut für Zeitgeschichte, gelang es Schickel, in den vergangenen 25 Jahren jährlich zwei Tagungen durchzuführen. Erfrischend sei es, so Gastredner Seidel in seinem halbstündigen Vortrag, bei den Zusammenkünften bemerken zu können, "daß man mit seiner Unzufriedenheit über die Geschichtspolitik der Bundesrepublik nicht allein" dastehe.

Schickel, der auch heute noch als Leiter der ZFI vorsteht, hielt nach dem Grußwort von Ingolstadts Oberbürgermeister Alfred Lehmann eine kurzweilige Ansprache, in der er lebendig, zuweilen auch anekdotenhaft Begegnungen und Erfahrungen jener Jahre schilderte. Da waren Mitte der neunziger Jahre massive Verunglimpfungen der Forschungsstelle von linksideologischer Seite zu vergegenwärtigen, die dem Redner gesundheitlich stark zusetzten. Das Schöne an der Not ist, daß sie den wahren Freund erkennen läßt, und als solcher erwies sich der damalige Direktor des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, Joachim Hoffmann, der sich für Person und Ehre des Kollegen einsetzte. Schickel hob die vorurteilslose Unbefangenheit im Kontakt mit amerikanischen Archiven hervor. Mit freundlicher Hilfsbereitschaft sei man ihm stets begegnet. Hierzulande verbreitete Vorbehalte bei unkonventionellen Thesen wurden gewöhnlich mit einem unbefangenen "Why not?" beiseite geräumt.


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