© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/06 01. Dezember 2006

Ein solider Burgfrieden
CDU-Parteitag: Mit Jörg Schönbohm verläßt einer der letzten Konservativen die Parteiführung / Merkel baut ihre Stellung aus
Victor Gaché

Es waren die Kleinigkeiten, die Angela Merkel den Dresdner Parteitag fast verhagelt hätten. Unerwartete Wortmeldungen wie die eines Arztes, der gleich zu Beginn die Gesundheitsreform verdammt. Und die Versprecher - diesmal nicht ihre eigenen, sondern die von anderen.

Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt etwa erteilt "Angelika Merkel" das Wort. Im Saal halten einige die Luft an. Ein schlagfertiger Redner wie beispielsweise Friedrich Merz oder Heinrich Lummer hätte jetzt mit "Vielen Dank, Herr Milbrandt" geantwortet. Nicht aber Angela Merkel. Sie ist weder schlagfertig noch zu Geistesblitzen aufgelegt. Merkel denkt dreimal über einen Satz nach, bevor sie ihn ausspricht. Das schützt sie davor, etwas Falsches zu sagen. Diese Fähigkeit mußten sich Mitteldeutsche fast zwangsläufig aneignen, wenn sie nicht bei der Staats- und Parteiführung in Ungnade fallen wollten. Also antwortet sie nach einer Schrecksekunde: "Einen schönen Gruß von Angela Merkel."

Merkel warnt davor, "deutsch zu denken"

Und dann hält sie ihre Rede, ihren Rechenschaftsbericht. Es geht ja nicht offiziell um ihre Kanzlerschaft, sondern um das Amt der CDU-Vorsitzenden. Merkel läßt die "Erfolge und die Enttäuschungen" seit ihrer Wahl im Jahr 2004 Revue passieren. Als sie im Mai 2005 angelangt ist, erinnert sie an den Wahlsieg von Jürgen Rüttgers in Nord-rhein-Westfalen. Nach vier Jahrzehnten SPD-Herrschaft bringe "die CDU wieder Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand in dieses schöne Bundesland". Sie ist voll des Lobes für den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten. Der Beifall schwillt enorm an unter den Delegierten. Während ihrer ganzen Rede gibt es keine Passage, die mit mehr Applaus goutiert wird als der Rüttgers-Passus. Aber der Schein trügt. Es sind nur die NRW-Delegierten, die so für ihren Chef trommeln. Der Rest der Partei ist den Streit leid.

Was Merkel über Rüttgers sagt und wie sie es sagt, läßt ihre Aussage über alle anderen Ministerpräsidenten verblassen. Erst recht über Friedbert Pflüger, dessen desaströses Wahlergebnis bei der Berliner Abgeordnetenhauswahl im September sie - vom Manuskript abweichend - mit einem Augenrollen kommentiert: Rot-Rot in der deutschen Hauptstadt wegzukriegen, das "müssen wir erst noch schaffen".

Angela Merkel und ihre Leute haben den Parteitag genauestens vorbereitet. Der von Rüttgers vom Zaun gebrochene und von den Medien aufgebauschte Streit um die verlängerte Zahlung des Arbeitslosengeld II für ältere Arbeitnehmer täuscht darüber hinweg, daß in der Union ein solider Burgfrieden herrscht. Die Spiegelfechtereien der "Kronprinzen" enden mit der Niederlage aller und dem Sieg der großen Vorsitzenden, die mit 93 Prozent (871 von 949 abgegebenen Stimmen) das beste aller Ergebnisse einfahren wird.

Als die Kanzlerin mit ihrer Rede fertig ist, hat sie einen Gemischtwarenladen ausgebreitet, der keinen unzufrieden zurückläßt. Sie spricht von Freiheit, während sie wenige Sätze später Videoüberwachung lobt. "Ohne uns hätte es die nicht gegeben." Sie liefert Patriotismus ("Wir sind Deutsche, und wir lieben unser Land") und warnt gleichzeitig davor, "deutsch zu denken". "Heute, 2006, sind die Probleme in der Analyse und auch in der Lösung tatsächlich global". Und sie hat die Leitlinien des Leipziger Parteitags, die von ihr geforderte "neue soziale Marktwirtschaft", mit Rüttgers' Vorschlag zum Arbeitslosengeld versöhnt. Obendrein hat sie den "Investivlohn" - bei dem ein Teil des Lohns nicht an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird, sondern in Unternehmensbeteiligungen umgewandelt wird - als neue propagandistische Wunderwaffe eingeführt.

Normalerweise verspricht Merkel sich relativ häufig. Nicht so in Dresden. Diesmal liest sie alles sorgfältig vom Manuskript ab. Und nur einmal sagt sie Intensivlohn - statt Investivlohn. Am Ende bekommt sie sechs Minuten Beifall. Die Partei ist zufrieden. Auch die Flügel - sie geben sich alle zufrieden. Der Arbeitnehmerflügel - klar. Aber auch die Mittelstandsvereinigung (MIT) hat nichts auszusetzen an der neuen Linie der Kanzlerin. Die MIT-Leute, früher glühende Merkelianer, waren zuletzt das Sorgenkind der Union, die Große Koalition erscheint vielen von ihnen zu sozialdemokratisch.

Aber sie wollen den Streit auch nicht weiter anheizen. Also sieht der Hauptgeschäftsführer der Mittelstandsvereinigung, Hans-Dieter Lehnen, Merkel jetzt wieder auf seiner Linie, sagt er jedenfalls: "Wir sind damals hochzufrieden vom Leipziger Parteitag 2004 zurückgekommen, nachdem die Union sechzehn Jahre lang von Norbert Blüm dominiert worden ist." In ihrer Rede habe die Kanzlerin den "Spagat zwischen Leipzig und dem Dresdener Parteitag" versucht. "Und das ist ihr gelungen", resümiert Lehnen.

Auch Rüttgers stimmt Merkel "ausdrücklich zu". Milbradt bittet ihn gleich nach Merkel ans Mikro, aber Rüttgers will gar nicht - Milbradts zweiter Patzer. Rüttgers spricht dann doch - eine emotionale Rede über die "Angst in den Augen der Arbeiter bei BenQ" und sein klar definiertes Feindbild: "die dreißigjährigen Analysten, die sagen, zwanzig Prozent Rendite sind noch nicht genug".

Hinterher läßt er seine Minister antreten. Der nordrhein-westfälische Integrationsminister Armin Laschet stärkt ihm den Rücken. Arbeits- und Sozialminister Karl Josef Laumann wirft sich ebenso für ihn und gegen die Hartz-Gesetze in die Bresche. Das halbe NRW-Kabinett tritt schließlich ans Mikro. Aber es hilft nichts.

Friedbert Pflüger rückt ins Präsidium auf

Rüttgers wird abgestraft für seine Kritik am Kurs der Kanzlerin. Mit 57 Prozent ist er knapp an einer Niederlage vorbeigeschrammt. Die Partei will Frieden. Sie wählt die, die Merkel bedingungslosen Gehorsam geschworen haben: Leute wie Wolfgang Schäuble, Eckart von Klaeden und natürlich Annette Schavan. Sie erhalten die besten Ergebnisse bei den Vorstandswahlen.

Die einzige Kampfkandidatur endet mit dem Triumph eines frischgebackenen Berliner Wahlverlierers über Jörg Schönbohm, einen der letzten Konservativen in der Partei. Bei der Wahl der sieben zu besetzenden Plätze im Präsidium erreichte er mit 42,49 Prozent das schlechteste Resultat aller acht Kandidaten. Schönbohm verzichtete auf eine Kandidatur für den Parteivorstand. Einer der letzten Konservativen geht von Bord. Seinen Sitz im Präsidium nimmt jetzt Pflüger ein. Dessen Loyalität zu Merkel ist über jeden Zweifel erhaben, längst wird er als Führungsreserve bei einer möglichen Kabinettsumbildung gehandelt.

Merkel ist am Ende des Parteitags mächtiger denn je, aber sie braucht Leute wie Pflüger, um ihre Macht in der Partei noch weiter auszubauen. Diese Personalie ist daher ganz in ihrem Sinne gelöst worden. Mit dem Parteitag kann Merkel hochzufrieden sein. Von Kleinigkeiten einmal abgesehen.


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